Im Alter von zwölf Jahren beginnt Ladina, sich ihre Haare auszureissen. Erst ist es ihr Ventil, wenn sie unter Druck steht und nicht einschlafen kann. Die Situation zuhause belastet sie: Ihre ältere Schwester erlebt eine sehr intensive Pubertät, was oft zu Streitigkeiten und Eskalationen in der Familie führt.
Mein Vater sagte, ich soll meine Haare nicht so oft bürsten.
Ladina lebt ihren Zwang heimlich aus. Ein Anfall des Reissens kann bis zu drei Stunden andauern – bis sie davon komplett erschöpft ist.
Ich hatte gehofft, dass es niemand herausfindet.
Trichotillomanie – die Diagnose
Nach einem Arztbesuch wird bei ihr fäschlicherweise Kreisrunder Haarausfall diagnostiziert. Ladina besucht den Schulunterricht mit einer Mütze. Ihr Umfeld vermutet, dass sie Leukämie hat. Das Versteckspiel dauert beinahe ein halbes Jahr. Schliesslich wird Ladinas Mutter von einer Kollegin auf die psychische Erkrankung Trichotillomanie aufmerksam gemacht. Ladina wird umgehend zur Psychologin gebracht, ihr Lügengebilde bricht zusammen.
Es fühlt sich so an wie ein Ballon, der kurz vor dem Platzen ist.
Der Moment des Ausreissens beschreibt Ladina als sehr befriedigend. Doch mit dem Blick in den Spiegel kommen die Selbstvorwürfe. Trotzdem reisst Ladina sich die Haare weiter aus. Als sie keine Kopfhaare mehr hat, beginnt sie, sich die Augenbrauen und Schamhaare auszureissen.
Der Rückfall wegen Liebeskummer und einer Verletzung
Die Situation zuhause und auch ihre Zwangsstörung beruhigen sich, als sie eine Lehre beginnt und neue Freunde findet. Sie verliebt sich zum ersten Mal. Als die Beziehung zerbricht, ertränkt sie ihren Liebeskummer in exzessivem Alkoholkonsum. Da Ladina wegen einer Verletzung für eine längere Zeit krankgeschrieben ist, fehlt es in ihrem Alltag an Struktur. Schliesslich kommt es zum Rückfall, sie reisst sich wieder die Haare aus.
Sexueller Missbrauch als Ursache?
Mit ihren ersten sexuellen Erfahrungen kommen verdrängte Kindheitserinnerungen zurück. Ladina erinnert sich an eine Situation als 5-Jährige: Ein Freund der Eltern hat sie sexuell missbraucht. Diesen trifft sie an einem Fest. Der Vorfall bringt das Fass zum Überlaufen.
Ladina rasiert sich die Haare, um sich vom Reissen abzuhalten. Doch der grosse Druck braucht ein Ventil: «Der Zwang war ja trotzdem noch da.» Ladina beginnt, sich mit einem Küchenmesser zu verletzen. Einmal schneidet sie sich so tief, dass sie in einer Blutlache erwacht.
Nach einem Klinikaufenthalt hat sie heute aber gelernt, mit ihrem Zwang umzugehen.
Betroffenen rät Ladina, Probleme anzusprechen und sich Hilfe zu suchen.