Wieso Michel mit nur einer Hand geboren wurde, weiss er bis heute nicht genau. «Dysmelie» ist der medizinische Ausdruck für eine solche Fehlbildung, die Ursachen dafür können sehr unterschiedlich sein. Der genaue Grund ist für Michel aber auch nicht relevant.
Seine Besonderheit war bereits zur Schulzeit das grosse Gesprächsthema. Für Michel und seine Kameraden war «Ärmeli», wie sie den Armstummel nannten, eine grosse Attraktion – und fast schon ein Teil seines Freundeskreises.
Meine Grossmutter hat mir im Winter kleine Kappen für mein ‹Ärmeli› gestrickt. Wir haben ihm Gesichter aufgemalt, ihn als Samichlaus verkleidet oder als Osterhase. Die Initiative kam von mir, ich fand das cool und es hat mir auch geholfen.
Der Umgang mit seiner fehlenden Hand war für Michel aber nicht nur lustig – vor allem in der Pubertät, in der Selbstfindung und Gruppenzugehörigkeit zentrale Themen sind. Bei seinem ersten Date hatte er sich sogar seinen Arm eingegipst und einen Sportunfall dazu gedichtet, aus Scham und Angst vor der Reaktion seiner Flamme.
Kraft dank der künstlichen Hand
Genau aus diesem Grund ist seine Handprothese für Michel nicht nur ein nützlicher Helfer beim Halten von Gegenständen. Sie hatte für ihn einen «therapeutischen Effekt», dank ihr fühlt er sich selbstbewusst.
Andererseits wollte Michel aber auch nie verstecken, dass er eine künstliche und keine echte Hand hat. Aus diesem Grund hat er sich auch bewusst gegen einen hautfarbenen Überzug entschieden, und ein transparentes Modell gewählt.
Man sieht, dass es eine Prothese ist – und das ist gewollt so. Ich schäme mich nicht für sie. Ich habe auch schon sehr positive Reaktionen erhalten, sie sehe fortschrittlich und ein bisschen Science-Fiction-mässig aus.
Die Prothese spielerisch entdecken
Michel ist es wichtig, dass er seine Erfahrungen weitergeben und jungen Menschen helfen kann, die ebenfalls an Dysmelie leiden. Ein Weg dazu ist «Pinocchio», eine Kontaktstelle und Selbsthilfegruppe für betroffene Kinder und deren Eltern.
Für Michel ist es zentral, dass man Kindern die Angst vor den künstlichen Körperteilen nehmen kann.
Wichtig ist, dass man die betroffenen Kinder spielerisch an ihr Handicap heranführt. Die erste Prothese sollte wie ein Spielzeug daher kommen.
Nur wenn sie lernen, ihren Körper zu akzeptieren, können sie selbstbewusst und ohne Scham durchs Leben gehen. Ein Schritt, der auch Michel in seiner Kindheit gehen musste, und der viel Mut und Arbeit braucht.
Zuversichtlich in die Zukunft
Auch wenn Michels Hand einen sehr futuristischen Eindruck macht und auf dem neusten Stand der Wissenschaft ist, verglichen mit einer natürlichen Hand schafft sie maximal 15% der feinmotorischen Leistung.
Doch Michel ist überzeugt, dass der Gipfel des Machbaren noch lange nicht erreicht ist. Die Forschung verzeichnet Fortschritte im Eiltempo. Noch vor fünf Jahren war seine aktuelle Prothese eine undenkbare Wunschvorstellung.
Michel engagiert sich selber im Bereich der Wissenschaft, zum Beispiel in der Organisation des «Cybathlon». An diesem Anlass traten letztes Jahr Athletinnen und Athleten gegeneinander an, welche ihren Körper mit modernsten, technischen Hilfsmitteln unterstützen.
Angesichts dieser Entwicklungen schaut Michel umso zuversichtlicher nach vorne:
Wenn die Entwicklung weiterhin so anhält wie bisher, dann wird es in ein paar Jahren möglich sein, Beethovens Symphonien auf dem Klavier zu spielen.