Zuckende Glieder, flirrende Lichter, grelle Farben – solche Bilder schiessen einem beim Wort Epilepsie durch den Kopf. Mehr als die gängigen Klischees kennt man von dieser chronischen Krankheit aber nicht. Dabei erleiden die meisten Menschen in ihrem Leben einmal einen Anfall – wenn auch nur kurz und unbemerkt.
Neira ist weit davon entfernt. Sie leidet an der heftigsten Form von Epilepsie, ihre – mittlerweile unzähligen – Anfälle setzen sie minutenlang ausser Gefecht. Als sie 10 Jahre alt war, trat die Krankheit zum ersten Mal in ihr Leben – nicht nur für Neira ein riesiger Schock:
Der erste Anfall kam in der Schule. Ich fiel vom Stuhl, hatte Krämpfe und Schaum vor dem Mund. Niemand wusste, was man machen kann, auch mein Lehrer war total überfordert.
Nach dem Anfall in der Schule und dem ersten Besuch im Spital hofften Neira und ihre Familie, dass es bei einer einmaligen Sache bleiben würde. Auch gegen den sofortigen Einsatz von Medikamenten wehrten sie sich – aus Angst vor den Nebenwirkungen.
Bis ein paar Monate darauf der zweite Zusammenbruch folgte und die Diagnose eindeutig war – Neira leidet an Grand-Mal-Anfällen , der schlimmsten Form der Epilepsie.
Kontrollverlust im Kopf
Neiras Krankheit lässt sich keinem klaren Muster zuordnen. Zwischen den Anfällen können eineinhalb Jahre oder einige Stunden vergehen, sie treten zu verschiedenen Zeiten an den unterschiedlichsten Orten auf. Und auch der Auslöser ist ein Rätsel – zwar weiss Neira, dass schnelles Atmen einen Anfall begünstigt, was aber wirklich den Ausschlag gibt, kann ihr bis heute niemand sagen.
Wenn es dann passiert, ist Neira ihrem Gehirn machtlos ausgeliefert:
Zum Teil habe ich tief in mir gefühlt, dass ich die Beherrschung über meinen Körper verliere. Du lebst weiter, aber alles um dich herum versickert. Und du kannst nichts daran ändern.
Auch die Anwesenden haben keine Möglichkeit, Neira aus der Gefangenschaft ihres Kopfes zu befreien. Notfallmedikamente nützen bei ihr nicht und auch wecken kann man sie nicht. Am Wichtigsten ist es, Ruhe zu bewahren, gefährliche Gegenstände um sie herum zu entfernen und das Ende abzuwarten. Und das kann eine quälende Tortur sein – ihr längster Anfall dauerte ganze sieben Minuten.
Nachdem ihr Gehirn sich ausgetobt hat, bleibt ein schwarzes Loch – Erinnerungen an das Ereignis hat sie keine. Dafür fühlt sich Neira psychisch und physisch am Boden zerstört:
Nach einem Anfall liege ich bis zu 24 Stunden im Bett, bin weg und schlafe. Mein Körper ist völlig tot.
Die machtlosen Medikamente
Bis heute gibt es keine Behandlung, mit welcher Neira ihre Krankheit besiegen kann. Weder die Ärzte im Spital noch ein Klinikaufenthalt, bei dem ihr Hirn auf Schritt und Tritt überwacht wurde, konnten ihr eine Lösung zeigen.
Die Medikamente, die sie einnimmt, zeigen bei Neira Nebenwirkungen: Sie ist müde, hat Probleme sich Dinge zu merken und hat den ganzen Tag Hunger. Würden sie Neira nicht vor gefährlichen Anfällen in der Nacht schützen, hätte sie diese längst abgesetzt.
Ein Leben in Ungewissheit
Neiras Epilepsie verwandelt ihr Leben in ein russisches Roulette – jederzeit und überall kann der nächste Anfall ihren Alltag aus der Bahn werfen. Zum einen gefährdet das Neiras Gesundheit – je länger sie ausser Gefecht ist, desto grösser die Gefahr eines Atemversagens.
Zum anderen ist sie durch die Epilepsie in vielem eingeschränkt. Autofahren zum Beispiel ist zu gefährlich, für ihre Ausbildung ist sie auf viel Verständnis ihres Betriebes angewiesen – und selbst ihr grosses Hobby sollte sie eigentlich aufgeben:
Meine Ärzte haben mir gesagt, ich solle mit dem Reiten sofort aufhören. Das sei viel zu gefährlich. Seit ich denken kann bin ich bei den Pferden, das ist meine Leidenschaft – das werfe ich sicher nicht einfach weg.
Neira hat sich auch in ihrer Maturarbeit ausführlich mit dem Thema Epilepsie befasst, und sie ist klar der Meinung, dass sie sich von einer Krankheit das Leben nicht vorschreiben lässt. Verzichten auf Hobbys und sich im Zimmer verstecken, aus Angst vor Anfällen, ist für sie definitiv die falsche Lösung. Neira versucht, ihrer Krankheit im Alltag möglichst wenig Platz zu schenken.
Ob du Angst hast oder nicht, die Krankheit kommt sowieso – daran kann man nichts ändern. Deshalb denke ich so selten wie es nur geht an sie.