«Roger hat immer etwas.» Diesen Satz hört er schon sein ganzes Leben lang – und er kann ihn nicht mehr hören. Schon als kleines Kind hat er Kniebeschwerden. Später hat er Hüftleiden, danach ist es der Rücken. «Es waren immer Probleme, die kamen und dann hartnäckig blieben», sagt Roger.
Aber diese Gebrechen sind für ihn rückblickend Kleinigkeiten. Denn bei einer Reise durch Amerika macht sich eine neue Krankheit bemerkbar. «Ich bekam wahnsinnige Blähungen, Krämpfe und komischen Durchfall», erinnert er sich. Hinter diesen Symptomen vermutet Roger den Stress, dem er ausgesetzt war: Im Rahmen seiner USA-Ferien macht er eine Busreise, bei der er sich alles andere als wohlfühlt. «Kontrolle ist sehr wichtig für mich, und in diesem Bus musste ich sie abgeben», sagt Roger.
Eine neue Krankheit
Zuhause in der Schweiz geht der Stress weiter. «Die alten Geschichten, die mich belasteten, waren wieder präsent. Dann ging es los mit dem Bauch», erinnert sich Roger. «Das Heimkommen war ganz klar eine schlechte Zeit für mich.»
Es war ein langsames Zupacken und Nicht-Mehr-Loslassen.
Bei Roger wird Colitis Ulcerosa diagnostiziert, eine chronische Darmentzündung. Es fängt relativ harmlos an. «Es war ein langsames Zupacken und Nicht-Mehr-Loslassen.» Anfänglich hat Roger noch Hoffnung, dass sich die Krankheit beruhigt, «aber es wurde immer verreckter», summiert Roger. Er versucht sich zu arrangieren, aber sie wird für ihn immer mehr zu einer Behinderung. So fest, dass er sich kaum noch aus dem Haus traut.
Es wird zunehmend schwierig seinem Beruf nachzugehen. «Die Colitis schläft nicht in der Nacht», weiss Roger. Er versucht, beim Arbeitgeber das Pensum auf 80 Prozent zu reduzieren, verschweigt aber die Krankheit. Im Nachhinein bereut er diesen Schritt. «Ich hätte ehrlich sein sollen und hätte sagen müssen, dass ich krank bin und die Leistung nicht mehr erbringen kann», sagt Roger heute.
Die Krankheit raubt ihm nicht nur die Arbeit, sondern auch seine Leidenschaft: das Singen. Die Medikamente, die er gegen Colitis Ulcerosa nehmen muss, führen zu einem Reflux, welcher seine Stimmbänder angreift. «Es war wie ein kleines Sterben für mich», sagt Roger.
Jeden Silvester denke ich: Dieses Jahr war noch beschissener.
Neue Operation, neues Glück?
Roger bringt seine Colitis mit Medikamenten nicht unter Kontrolle. Da die Gefahr eines Darmbruchs besteht, muss man seinen Dickdarm entfernen. Roger wird die Option unterbreitet, einen ileoanalen Pouch einzusetzen, eine damals neue Operation. «Ich habe mich auf den Eingriff gefreut», erinnert sich Roger. Aber die Operation gestaltet sich als schwierig. «Ich hatte den Schock meines Lebens», sagt Roger dazu. Zunächst hat Roger einen Analkatheter, mit dem alle Exkremente abfliessen. Doch es kommt schliesslich der Tag, an dem man diesen entfernt. «Dann ging das Theater los», erinnert sich Roger, «danach wollte ich nur noch sterben.»
Danach wollte ich nur noch sterben.
Roger kann die ätzenden Ausflüsse aus seinem Darm nicht kontrollieren. Diese Situation nagt an seiner Menschenwürde. Zum guten Glück beruhigt sich die Situation. Es vergehen Monate, bis Roger sich wieder vors Haus wagt. Durch Training kann er seinen Zustand wieder normalisieren.
Doch für Roger kommt die Darmentnahme zu spät, denn die Autoimmunkrankheit schreitet weiter fort und greift seine Gelenke an. Als er aufs Tram springt, schmerzt plötzlich sein Knie derart fest, dass er nicht mehr laufen kann. Bei ihm wird schliesslich Polyarthritis festgestellt. Diese Gelenkprobleme kriegt Roger einigermassen in den Griff, doch es kommt für ihn noch schlimmer.
Kein Ende in Sicht
Bei Roger machen sich unerklärliche Muskelspannungen bemerkbar. Sein Rheumatologe meint, dass Gelenkschmerzen und Muskelprobleme eng beieinanderliegen.
Es ist, als wäre eine böse Wolke über mir.
«In einer Biopsie sah man, dass die Muskelzellen gesund sind aber dass etwas mit den Nerven nicht stimmt», erklärt Roger. Eine genaue Krankheit kann aber nicht diagnostiziert werden. Durch die Muskelprobleme wird das Laufen immer schwieriger für Roger, mittlerweile ist er oft auf den Rollstuhl angewiesen.
Ein trauriger, roter Faden zieht sich durch Rogers Geschichte. Jeden Silvester resümiert er: «Dieses Jahr war jetzt noch beschissener als das Letzte.»
Und doch hat auch seine Geschichte einen Lichtblick. «Ich habe wenige, aber sehr gute Menschen, die alles mit mir mitgemacht haben. Das ist mein grosses Glück.»