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Rehmann Sereina (34): «Nach dem Zeckenbiss ging es bergab»

Eine Zeckeninfektion im Jugendalter und ein viel zu spät diagnostizierter Bruch an der Wirbelsäule erschweren Sereinas Leben massiv. Zudem werden ihre Beschwerden nicht ernst genommen. Sie ist hypersensibel und hat immer wieder mit Depressionen zu kämpfen.

Als Kind ist Sereina fasziniert von Indien und trägt bunte Kleider. Ihre Eltern sind kreativ und weltoffen – sie fördern die Selbstentfaltung ihrer Tochter. In der eher konservativen Gegend im Aargau, wo die Familie lebt, kommt das nicht nur gut an: Gewisse Eltern haben solche Vorurteile, dass sie ihren Kindern den Umgang mit Sereina verbieten.

Diese Ausgrenzung tut weh. Sie hinterlässt Spuren – umso mehr, da Sereina hypersensibel ist. Trotz der Schwierigkeiten beschreibt sie sich selbst als aufgestelltes und positives Mädchen. In der Teenagerzeit beginnen jedoch körperliche Probleme: Sereina hat immer wieder Hautausschläge. Auch schlafen kann sie oft nicht richtig.

Druck, Stress, meine Genetik und der Infekt – ein Kochtopf, der irgendwann überläuft.

Schlimmer wird das Ganze, als sie mit 15 Jahren von einer Zecke gebissen wird. Der Kopf bleibt widerspenstig in der Haut stecken und muss vom Arzt entfernt werden. Sereina infiziert sich mit Borreliosebakterien. Borreliose ist eine schwer fassbare Krankheit: Die möglichen Symptome sind sehr vielfältig und können sowohl körperlich als auch psychisch sein.

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Sereina glaubt, dass das Ausbrechen der Krankheit durch ein genetisch geschwächtes Immunsystem und durch ihre allgemeine seelische Belastung zu dieser Zeit begünstigt wurde. Seither kämpft sie immer wieder mit chronischen Infekten, die man nicht klar zuordnen kann – was für Borreliose leider typisch ist. Unter anderem leidet sie mehrere Monate an einer schweren Lungenentzündung.

‹Was hast du dir jetzt schon wieder eingefangen?› – als ob ich das mit Absicht mache!

Sereina ist eine Perfektionistin und will trotz der Beschwerden ihren Alltag bewältigen. Schlimm ist für sie, dass ihr Umfeld immer wieder falsch reagiert. Sie hat das Gefühl, man gebe ihr die Schuld an ihren gesundheitlichen Problemen. Auch das ist bei Borreliose-Betroffenen leider oft der Fall: Sie werden nicht verstanden.

Auch bei den Ärzten, die sie besucht, fühlt sich Sereina nicht richtig aufgehoben. Auf Drängen ihrer Eltern behandelt sie ihr Leiden mit Homöopathie – und spürt keine Besserung. «Du musst einfach dran glauben!», sagt man ihr. Und wieder fühlt es sich an als wäre das Ganze ihre Schuld.

Irgendwann musste ich akzeptieren, dass ich auf gut Deutsch einen Schaden habe.

Während dem Studium durchlebt Sereina ein weiteres Tief. Sie leidet unter extremem Energiemangel, auch durch einen Bruch in der Wirbelsäule, der sehr spät entdeckt wird. Bevor sie aus dem Haus geht, sorgt sie sich, ob es auf ihrem Weg genug Sitzgelegenheiten gibt, um eine Pause einzulegen. Sie hat Angst, vor Fremden negativ aufzufallen.

Diese Kraftlosigkeit und das Gefühl, von niemandem verstanden zu werden, bringt sie auch mental in eine Krise. Sie fällt in eine Depression.

Mein Umfeld hat mich letztlich vor dem Suizid gerettet.

Irgendwann muss sie sich eingestehen, dass sie ihre gesundheitliche Situation nicht ändern kann. Und dass sie legitime, körperliche Probleme hat – und nicht etwa einfach ein «Finöggel» ist, wie es ihr oft eingeredet wird. Eine IV-Rente bekommt sie wie viele Borreliosekranke aufgrund einer fehlenden eindeutigen Diagnose nicht.

Sereina hat gelernt, dass sie trotz ihrer Einschränkungen viele schöne Momente erleben darf. Diese zelebriert sie nun bewusst, etwa, indem sie sich schön anzieht und Zeit mit Freunden verbringt. Ihre besten Freunde und ihr Partner seien für sie «wie eine zweite kleine Familie», sagt sie.

S.O.S. – Sick of Silence

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Wie sieht das Leben junger Menschen aus, nachdem es durch eine chronische Krankheit ausgebremst wurde? Robin Rehmann leidet selbst an einer chronischen Krankheit und unterhält sich in seiner Sendung mit Betroffenen.

Jeden Dienstag, 18-19 Uhr bei SRF Virus oder hier als Podcast.

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