Vor rund vier Jahren veränderte sich das Leben von Stefan Keller auf einen Schlag – der passionierte Gleitschirm-Fluglehrer war mit seiner Gruppe in der Luft, als ihn Turbulenzen ohne Vorwarnung aus 20 Metern Höhe auf den Boden rissen.
Die Folgen des Unfalls: Ein Schädel-Hirn-Trauma, eine Oberarm-Fraktur, mehrere Becken-Frakturen, ein gebrochener Lendenwirbel – und ein gebrochener Rücken.
Stefan wurde durch den Sturz zum inkompletten Paraplegiker . Das bedeutet, dass er kurze Strecken noch immer zu Fuss zurücklegen kann, allerdings nur unter grössten Schmerzen. Ein Alltag ohne Rollstuhl ist für ihn nicht mehr denkbar.
Nochmals von vorne
Durch seinen Unfall war Stefan gezwungen, viele alltägliche Dinge wieder zu entdecken – auf eine neue Art und Weise.
Das Leben ist einfach anders. Und wenn man sich darauf einlassen kann, ist es überhaupt nicht vorbei, sondern ganz im Gegenteil – sehr spannend.
So fühlt sich Stefan auch regelmässig in seine Kindheit zurückversetzt. Zum Beispiel, als er zum ersten Mal mit einem Katheter hinter einen Baum pinkelte und sich freute wie ein kleiner Junge.
Durch die Querschnittlähmung hat sich auch die Sexualität von Stefan stark verändert. Er musste neue Wege finden, wie er auch im Rollstuhl Liebe und Zuneigung geniessen konnte.
So erlebte ich im Erwachsenenalter nochmals eine Pubertät – ich fand heraus, was möglich ist, was ich empfinde, wo meine erogenen Zonen sind. Die alten habe ich schnell vergessen.
Momentan lebt Stefan alleine, seine frühere Beziehung ging nach dem Unfall in die Brüche. Kein Einzelfall, wie Stefan weiss.
Doch das Leben als Single bietet ihm auch Vorteile – die Unabhängigkeit ermöglicht es ihm, sein Leben selbstständig zu gestalten, und auch seiner Liebe für das Reisen nachzugehen.
Die Ironie des Schicksals
Ein Gleitschirm-Fluglehrer, der Menschen im Rollstuhl das Fliegen beibringt und dabei selber im Rollstuhl landet – Stefans Geschichte klingt eher nach einem sarkastischen Drehbuch als nach dem realen Leben.
Kein Wunder, dass es auch ihm schwerfällt, hier an den Zufall zu glauben. Er sieht in seinem Schicksal aber keinen Grund, weshalb er sein Leben umstellen sollte. Nach wie vor gibt ihm der Gleitschirm Kraft und Motivation für sein Leben.
Die Fliegerei beschäftigt mich schon mein ganzes Leben. Das Aufhören war für mich nie ein Thema. Ein Musiker, der auf der Bühne verunfallt, will logischerweise auch wieder Musik machen.
Ein Unfall als Lebensaufgabe
Auch wenn der Rollstuhl Stefans Leben grundlegend verändert und in gewissen Bereichen stark eingeschränkt hat – er würde das Rad der Zeit nicht zurückdrehen, wenn er könnte. Sein Schicksal hat ihm eine neue Aufgabe gegeben.
Mir ist genau so viel erhalten geblieben, dass ich das machen kann, was mir im Leben Kraft gibt. Und mir wurde genau so viel genommen, dass ich mich in jemanden mit ähnlichem Schicksal einfühlen kann.
Stefan ermöglicht Menschen mit Behinderung das Fliegen im Gleitschirm, er coacht und hält Vorträge, die Mut und Motivation spenden. Und ist so ein eindrückliches Beispiel dafür, wie man sein Schicksal trotz garstigen Umständen selbst in die Hand nehmen kann.
Die anspruchsvollen Aufgaben sind die, die das Leben spannend machen. Es ist wie beim Jassen: Wenn die Karten neu gemischt werden, musst du das letzte Spiel vergessen und dich auf den neuen Trumpf einlassen.