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Rehmann Tea (22): «Schon als Kind hatte ich Suizidgedanken»

Vor zwei Jahren wird bei Tea eine Panikstörung diagnostiziert. Die Gründe dafür finden sich in ihrer traumatischen Kindheit. Wegen ihrer Krankheit hat sie sich damit auseinandergesetzt und kann heute offen über das Erlebte erzählen. Ein sehr mutiger Schritt.

Als Tea (22) vor zwei Jahren mit Kolleginnen mit dem Zug nach Mailand fahren möchte, geschieht es. «Kaum fuhr der Zug ab wurde mir sturm, ich fühlte mich ganz komisch und wusste nicht, ob ich ohnmächtig werde oder erbrechen muss», erinnert sie sich. Mit jeder Minute verschlimmert sich ihre Situation. Beim nächsten Halt, Thun, rennt sie regelrecht aus dem Zug und versucht sich zu beruhigen. Tea gelingt es, nachhause zu fahren und sich hinzulegen.

Ich hatte das Gefühl, dass ich am Sterben bin.

Doch in den vertrauten vier Wänden kann sie sich nicht beruhigen. Ihre Situation wird von Tag zu Tag schlimmer. Sie muss sich übergeben und kann nichts im Magen behalten. Sie traut sich kaum noch auf die Strasse. Doch auch ihre Hausärztin kann nichts feststellen und schlägt eine Darmspiegelung sowie eine HNO-Untersuchung vor.

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Erst mit dem Besuch bei einem Psychiater kommen die wahren Gründe ans Licht. Nach der Summierung all ihrer psychischen Probleme vergangener Jahre brachte die Zugfahrt schliesslich das Fass zum Überlaufen, was sich in einer Panikattacke äusserte. «Die Diagnose Panikstörung kam für mich überhaupt nicht überraschend», meint Tea. Sie wird mit Antidepressiva behandelt. «Für mich war das sehr hart, dass ich bereits mit 20 Antidepressiva nehmen musste», erinnert sich Tea.

Eine schwierige Kindheit

Schon als Kind hat Tea sehr oft starke Angst. Durch die Panikstörung kann sie sich aber mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen und erklären, wie es dazu kam.

Die Diagnose Panikstörung war nicht wirklich überraschend für mich.

Das schwierige Familienverhältnis ist prägend für Sie. Ihr Vater hat regelmässig Wutausbrüche. Tea und ihr Bruder werden regelmässig Opfer von seinen physischen und verbalen Attacken. Durch diese extremen Belastungen entwickelt sie früh dunkle Gedanken.

«Er sagte mir immer wieder, dass ich ein Miststück bin und nichts wert sei, und als Kind glaubt man das nach einer Weile auch.» Sie fühlt sich als Belastung für ihr Umfeld und fühlt sich für alles schuldig, was in ihrem Umfeld passiert. «Bereits als Kind hatte ich Suizidgedanken», meint Tea, «Ich weiss noch, wie ich mir mit einem Brieföffner in den Bauch stach, was aber natürlich nicht funktioniert hat.»

«Jahrelang habe ich mich gefragt, wieso er das gemacht hat. Aber ich habe noch heute keine Antwort darauf gefunden», stellt Tea fest. Sie hat immer noch Mühe zu erkennen, dass sie keine Belastung ist für ihre Freunde.

Wut auf ihr Umfeld

Neben Schuldgefühlen empfindet sie auch eine gewisse Wut auf ihr Umfeld. Über all die Jahre wurde sie von niemanden geholfen. «Ich wurde immer wieder von einer Nachbarin angesprochen, ob es mir zuhause gut gehe, aber sie half mir schlussendlich nicht.» Auch als einmal die Polizei gerufen wurde und sie am ganzen Körper zitterte, fragte eine Polizistin ob alles in Ordnung sei. «Und als ich dann ja sagte, sind sie wieder gegangen», erinnert sich Tea.

Jetzt sehe ich, dass das was ich erlebt habe nicht normal war.

Diese Apathie macht sie heute noch wütend. «Auch mir wurde beigebracht, dass man darüber nicht spricht. Jetzt, als 22-Jährige sehe ich, dass meine Kindheit nicht normal war.» Dies versucht sie auch anderen zu erklären. «Ich habe mehrere kennengelernt, die Ähnliches erlebt haben und nicht einsehen, was daran nicht normal sein sollte», erklärt Tea. Genau hier muss sie oft erklären, dass es nicht normal war.

Reden ist wichtig

Die Panikstörung hat ihr die Augen geöffnet. «Mein Leben wurde dadurch komplett verändert. Ich wurde durch die Erkrankung gezwungen, etwas zu unternehmen», meint Tea. Heute studiert sie Sozialarbeit, damit sie in Zukunft anderen helfen kann, die in einer ähnlichen Situation stecken, wie sie Tea erlebt hat. Für sie ist es sehr wichtig, dass man sich diesem Problem widmet und vor allem, dass man darüber redet.

«Es nervt mich extrem, dass im Jahr 2018 immer noch dieses Stigma existiert!» Mit ihrer Offenheit möchte Tea darum auch ein Exempel statuieren. «Deswegen habe ich hier meine Geschichte erzählt. Dass sich andere Menschen dafür nicht schämen.»

S.O.S. – Sick of Silence

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Wie sieht das Leben junger Menschen aus, nachdem es durch eine chronische Krankheit ausgebremst wurde? Robin Rehmann leidet selbst an einer chronischen Krankheit und unterhält sich in seiner Sendung mit Betroffenen.

Jeden Dienstag, 18-19 Uhr bei SRF Virus oder hier als Podcast.

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