Bereits in frühester Kindheit merkt Valentina, dass etwas an ihr anders ist: Bei ihrer damals besten Kollegin im Kindergarten spürt sie, dass sie mehr als Freundschaft möchte und spielt mit ihr eine Heirat nach.
Später, als bei den Mädchen die Buben zum Thema werden, möchte Valentina nichts davon wissen. Auch als ihre Kolleginnen anfangen, sich zu schminken und ihre Haare zu glätten, kleidet sie sich in weiten Hosen, Jacken und hat immer eine Baseball-Mütze auf.
Ich wusste nicht, wie ich es zuordnen soll.
Anfänglich möchte Valentina ihr Innenleben vor sich selbst verstecken: «Bin ich jetzt krank? Ist es überhaupt normal, dass ich solche Gefühle habe?», fragt sie sich.
Wegen ihrer männlichen Art und ihres Kleidungsstils wird Valentina schnell das Ziel von Mobbing: «Was bist du für eine? Schämst du dich nicht, du bist doch eine Frau?» wird ihr immer wieder an den Kopf geworfen und wurde auch körperlich angegriffen. Durch die Attacken zieht sie sich immer mehr zurück und hat Angst, in die Schule zu gehen.
Schämst du dich nicht, du bist doch eine Frau?
Auch nach der Schule wird sie wegen ihres Aussehens und ihrer Art diskriminiert. Sie beschliesst, eine Lehre als «Assistent Gesundheit und Soziales» zu absolvieren. Doch von Anfang an stimmt das Verhältnis zu ihrer Lehrmeisterin nicht. Hier werden ebenfalls ihr Erscheinungsbild und ihre sexuelle Orientierung zum Verhängnis.
Eines Tages wird sie von ihrer Lehrmeisterin beschuldigt, Patientinnen zu belästigen. Valentina meldet die Vorwürfe. Es kommt zu einem Gespräch zwischen ihr, ihrer Lehrmeisterin und der Heimleitung. Es wird entschieden, dass man der Lehrmeisterin nicht kündigt und Valentina werden zwei Optionen unterbreitet: «Entweder du gehst oder du findest dich damit ab». Valentina reicht die Kündigung ein.
Glücklicherweise wird sie zuhause von ihrer Familie unterstützt: «Ach Valentina, endlich lässt du es raus!» ist die erste Reaktion ihrer Mutter, als sie sich vor der Familie outet.
Schmerzhafte Erinnerungen
Doch Valentina kommt nicht zur Ruhe. Ihre erste Beziehung führt sie heimlich. Doch ein vermeintlich versteckter Kuss in der Öffentlichkeit wird ihr zum Verhängnis: Ein Mitschüler beobachtet sie dabei. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer durch die Schule. «Genau das wollte ich vermeiden, ich wollte den Zeitpunkt meines Outings selbst bestimmen», ärgert sich Valentina.
Valentina hat viele schmerzhafte Erinnerungen aus dieser Zeit. «Zum Teil sind meine Mitschülerinnen aus Angst vor mir nach dem Turnunterricht aufs WC gegangen, um sich umzuziehen» erinnert sie sich. Diese Reaktionen setzen ihr stark zu.
Ich wollte den Zeitpunkt des Outings selbst bestimmen.
Auch belastet es die Beziehung zu ihrer damaligen Freundin, denn diese stammt aus einer türkischen Familie: «Ihre Eltern wollten, dass wir sofort Schluss machen». Doch ihre damalige Freundin beweist Willensstärke und hält zweieinhalb Jahre zu ihr.
Doch der Druck auf ihre Freundin wird zu gross. Sie wendet sich von Valentina ab. «Die Angst, die Familie zu verlieren, war grösser als die Liebe», stellt sie fest. Für Valentina eine herbe Enttäuschung, die sie in eine Krise stürzt. «Warum musste ich mich in eine Frau verlieben? Wieso bin ausgerechnet ich homosexuell?»
Mehr Toleranz, für alle
Mittlerweile hat Valentina ihre Krisen durchgestanden. Ihre schwierige Jugend hat sie hinter sich gelassen und ist in einer festen Beziehung. Valentina bezeichnet sich selbst als Transjunge, weil sie sich eher als Mann fühlt. Sie versucht sich dem Traum, einen Mann zu sein, zu nähern indem sie maskulin kleidet und verhält.
Vor allem vor älteren Frauen muss sie sich rechtfertigen, wenn sie auf einem öffentlichen WC ist. «Manchmal schauen ältere Damen zweimal, ob sie auf der richtigen Toilette sind, wenn sie mich sehen», erzählt Valentina.
Ich urteile nicht über dich, nur weil du heterosexuell bist.
Am liebsten hätte es Valentina, dass man sie als Mensch wahrnimmt. «Wir Menschen neigen dazu, von Aussen zu urteilen», sagt Valentina. Und allgemein ist ihr die Akzeptanz von Homosexuellen ein grosses Anliegen. «Ich möchte, dass Homosexuelle nicht als Bedrohung angesehen werden, sondern dass man uns einfach als Menschen wahrnimmt. Denn ich urteile nicht über dich nur weil du heterosexuell bist.»