Zum Inhalt springen

Rehmann Yvonne (49) : «Ich hatte über 13 Operationen in neun Monaten»

Als sich Yvonne als junge Frau zum ersten Mal mit schmerzenden Entzündungen unter der Haut zum Arzt begibt, stempelt dieser es als Haarverwachsung ab. Heute weiss es Yvonne besser: Sie hat Acne Inversa. Eine chronische und immer wieder aufkeimende Hauterkrankung mit Eitergeschwülsten.

Als junge Frau leidet Yvonne an kleinen Etzündungen unter der Haut, die aber nach einigen Tagen wieder verschwinden. Vor gut zehn Jahren bilden sich dann plötzlich innerhalb von wenigen Tagen Entzündungen unter ihrem Steissbein: «Ich konnte nicht mehr richtig laufen. Es brannte unglaublich beim Anfassen und unter meiner Haut spürte ich eine steinharte, fünfränklergrosse, platten artige Verhärtung.»

S.O.S. – Sick of Silence

Box aufklappen Box zuklappen

Wie sieht das Leben junger Menschen aus, nachdem es durch eine chronische Krankheit ausgebremst wurde? Robin Rehmann leidet selbst an einer chronischen Krankheit und unterhält sich in seiner Sendung mit Betroffenen.

Jeden Dienstag, 18-19 Uhr bei SRF Virus oder hier als Podcast.

Als wirklich nichts mehr geht, beschliesst Yvonne die Notfallabteilung des Spitals aufzusuchen. Zum Glück, denn die Ärzte behalten müssen sie sofort operieren. Dass es sich dabei, um Acne Inversa handelt, merken die Fachleute jedoch nicht und stempeln Yvonnes Entzündung als gemeine Eitergeschwulst ab.

Immer wieder aufkeimende Eitergeschwülste

Die Ruhe vor den Schmerzen bleibt nur von kurzer Dauer: Knapp ein halbes Jahr nach der OP wuchert bei Yvonne eine neue Entzündung – Zentimeter neben der operierten Stelle am Steissbein. Diesmal zögern die Ärzte mit der Operation, da sich die betroffene Stelle sehr nahe am Schliessmuskel befindet und das Verletzungsrisiko nicht abgeschätzt werden kann.

Die Schmerzen und das Warten werden für Yvonne unertragbar und sie begibt sich auf Selbstrecherche im Internet. Und sie wird fündig: Ihre Symptome gleichen denen der Krankheit Acne Inversa.

Bei einem Spezialisten bekommt Yvonne endlich die Antwort auf ihre Beschwerden: Er stellt bei ihr tatsächlich Acne Inversa fest. Eine chronische, immer wieder aufkeimende, schmerzende Hauterkrankung.

Weltweit leidet etwa 1% der Menschen an Acne Inversa. Die Hauterkrankung ist relativ unerforscht und ihr Ursprung ist den Ärzten ein Rätsel.

Auch wenn der Name darauf deuten lässt, hat Acne Inversa nichts mit der bekannten Akne zu tun. Denn Menschen,die an Acne Inversa leiden, sieht man es nicht an – die Entzündungen wachsen nicht auf, sondern unter der Haut.

Die Geschwülste bilden sich meistens im Bereich der Achseln, Bauchfalte, Leisten, Brust, dem Gesäss und im Intimbereich. Verbunden mit Acne Inversa sind eiterige Entzündungen, die starke Schmerzen verursachen und einen nicht mehr liegen, laufen, oder sitzen lassen.

Die Psyche schmerzt mit

Unter die Einschränkungen ihrer Krankheit fängt Yvonnes Alltag massiv an zu leiden: Sie geht nicht mehr zur Arbeit und kann durch die Bewegungseinschränkungen nicht mehr aktiv am sozialen Leben teilnehmen. Plötzlich ist sie von ihrem Umfeld abhängig, da ihr selbst einfache Alltagsaufgaben schwer fallen: «Ich konnte nicht länger als zehn Minuten sitzen, liegen oder gehen und bücken ging überhaupt nicht mehr.» Yvonne setzt sich zusätzlich selber unter Druck, da sie die Angst plagt, ihrem Umfeld nicht mehr gerecht werden zu können.

2008 erreichen Yvonnes Entzündungen ihren Höhepunkt: Innerhalb von neun Monaten muss sie sich 13 Operationen im Bereich des Gesässes und des Steissbeins unterziehen.

Es fühlt sich an als ob du 24 Stunden lang in einem Stacheldraht sitzt.

Die Schmerzen und dadurch verbundenen Einschränkungen, strapazieren Yvonnes Psyche. So stark, dass es bis zum Gefühl von starkem Lebensüberdruss kommt.

Die Flucht ins World Wide Web

«Ich flüchtete mich in ein Internetforum mit Gleichgesinnten zurück.», erklärt die 49-Jährige. Im Forum fühlt sie sich bestätigt, denn die anderen User machen ihr Mut: «In meinem Leiden und dem Sog von Selbstmitleid, in den ich gefallen bin, hatte ich das Gefühl, dass mich die anderen sowieso nicht verstehen und mir nur Böses wollen. Dabei meinte es meine Familie und mein Umfeld nur gut mit mir.» In ihrem scheinbar sicheren Kokon des Forums, entfernt sich Yvonne immer mehr vor dem realen Leben.

Mit dieser Einstellung habe ich in meinem Umfeld fast alles kaputt gemacht. Ich war ziemlich nahe dran, alles zu verlieren.

Auf eigene Faust zurück in ein lebenswertes Leben

Die Angst, sich selber alles kaputt zu machen, treibt Yvonne dazu an, ihren Internetkonsum nur noch eine Stunde pro Woche zu beschränken. Sie versucht wieder rauszugehen, sich den Menschen anzuvertauen und trotz Schmerzen ihren Werten nachzugehen. «Es war überhaupt nicht einfach und es brauchte enorm viel Wille und Kraft. Doch ich rate jedem, schon alleine der Versuch ist ein Schritt. Auch wenn es vorerst nur beim Versuch bleibt.»

Heute geht es Yvonne besser. Zwar kommen noch stechende oder brennende Schmerzen am Steissbein, doch halten sich diese im Rahmen. Ausserdem ist die sie aktives Mitglied der Selbsthilfegruppe «Acne Inversa Schweiz». Obwohl in der Selbsthilfegruppe auch Gleichgesinnte zusammenfinden, ist der Fokus anders gelegt: «Wir wollen nicht gemeinsam im Sog der Krankheit verschwinden, sondern uns aktiv dabei unterstützen in dem wir vermitteln, dass es neben der Krankheit noch ein anderes Leben geben kann.»

Die Hauterkrankung brachte Yvonne neue Perspektiven: «Ich lebe intensiver und nehme nicht mehr alles so ernst wie früher. Ausserdem rate ich zum klassischen Galgenhumor.»

Acne Inversa gehört zu mir. Der Umgang und die Akzeptanz ist wichtig, aber die Krankheit sollte nicht in den Vordergrund gestellt werden.

Meistgelesene Artikel