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Rehmann «Das Leben ist für mich mehr ein Müssen als ein Wollen»

Shannon (23) geht in der Psychiatrie zeitweise ein und aus. Sie kämpft mit Depressionen und dissoziativen Episoden und hat zwei Suizidversuche hinter sich.

Triggerwarnung: In diesem Beitrag und Video werden Suizidversuche thematisiert.

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Rund um die Uhr für dich da per Chat und Telefon sind die dargebotene Hand (Tel. 143 oder www.143.ch) und die Beratung für Kinder und Jugendliche von Pro Juventute (147 oder www.147.ch).

«Ich fühle mich auf dieser Welt wie ein Kieselstein im Schuh», erzählt Shannon. Dieses Gefühl verinnerlicht sie bereits im Kindergarten. Schon früh wird sie gemobbt. Schlimm wird es in der Primarschule: Dinge wie «Lieber tot als Shannon Roth!» muss sie sich anhören.

«Es war völlig offensichtlich, dass ich gemobbt wurde. Aber es hat keinen interessiert.» Öffnen kann und will sich Shannon gegenüber niemandem. Nicht zuhause, auch nicht ihrer besten Freundin. Sie entwickelt eine perfekte Maske: «Ich kann problemlos den ganzen Tag lächeln und breche dann in Tränen aus, wenn ich nach Hause komme.»

Ich werde stinksauer, wenn ich sehe, wie bei Mobbing weggeschaut wird. Wir müssen viel mehr dagegen tun.

Einzig ihrem Tagebuch vertraut sie sich an. Darin finden sich Einträge aus dieser Zeit, wo sie sich fragt: «Was mache ich falsch? Womit verdiene ich es, so behandelt zu werden?» In der Oberstufe wird es nur noch schlimmer. Shannon wird sexuell belästigt: Ihre Mitschüler öffnen ihren BH oder fassen ihr an den Po.

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Shannon flüchtet sich in Exzesse

Shannon erzählt auch, sie sei nie ein einfaches Kind gewesen und habe sich nie an Regeln gehalten. Schon mit 13 Jahren, in der ersten Oberstufe, trinkt sie regelmässig exzessiv. Mit 15 kommen illegale Substanzen dazu. «Ich merkte aber schnell, dass ich für Drogen psychisch zu instabil bin. Ich hatte Nervenzusammenbrüche – danach beliess ich es beim Alkohol.»

Als die Wahl einer Ausbildung ansteht, entscheidet sich Shannon für das KV. Mit den Anforderungen kann sie nicht umgehen: «Ich kam am Morgen nicht aus dem Bett. Nur schon zwei Termine pro Woche bedeuteten für mich riesigen Druck.»

Eine Mitpatientin drückte mir eine Klinge in die Hand und sagte, ich soll das mal ausprobieren – es tue mega gut.

Es folgt der erste Aufenthalt in der Psychiatrie. Shannon erzählt: «Ich kann es nicht empfehlen. Es hat mich nur genervt. Ich habe Alkohol reingeschmuggelt.» Paradoxerweise verletzt sie sich in der Klinik zum ersten Mal selbst. Das Ritzen wird sie jahrelang begleiten. Wobei «ritzen» der falsche Ausdruck ist, wie sie sagt: «Ich schnitt öfters einen halben Zentimeter tief, sodass man nähen musste.»

Obdachlos nach Suizidversuch

Als sie aus der Klinik austritt, lebt sie für zwei Wochen bei einer Freundin. Dort versucht sie zum ersten Mal, sich umzubringen. Daran erinnern kann sie sich nicht, kennt die Geschichte nur so, wie sie ihr erzählt worden ist. Sie schluckt eine grosse Menge Tabletten und landet wegen der Komplikationen im Koma.

Ein Exzess löst den anderen ab. Mal ist es Sport, mal Hungern, mal Alkohol, mal Ritzen.

Diese Episode ist nicht die einzige, an die sie sich nicht erinnert. Immer wieder hat Shannon dissoziative Momente, in denen sie ausfällig wird. Einmal geht sie mit einem Messer auf ihren damaligen Freund los. Danach ist es, als ob sie aus einer Trance erwacht. «Ich bin jeweils extrem schockiert, wenn ich dann höre, was ich gemacht habe. In den ersten Tagen darf man mir das gar nicht erzählen.»

Nach dem Selbstmordversuch wird sie erneut in die Klinik eingewiesen. Nach der Entlassung ist sie zwei Wochen obdachlos. Ihr Umfeld ist überfordert, niemand will die Verantwortung übernehmen. Shannon schläft unter anderem an Bahnhöfen. «Da ist man nicht so in bester Gesellschaft. Aber ich wusste mich mittlerweile zu wehren», erzählt sie.

Andere Menschen freuen sich auf das Wochenende. Ich freue mich darauf, eines Tages sterben zu können.

Die Suche nach dem Sinn

Nach einem Aufenthalt in einem christlichen Heim landet sie wieder in der Psychiatrie – und versucht danach zum zweiten Mal, sich umzubringen. Wieder mit Tabletten. Und wieder überlebt sie. Zum Glück. Zum Glück? Für Shannon ist das nicht so klar: «Für mich ist das Leben nach wie vor mehr ein Müssen», sagt sie heute.

Dabei sind ihre Lebensumstände heute geregelt: Sie bezieht IV und wohnt in ihrer eigenen Wohnung, mit Hund und vielen Büchern. Sie macht viel Sport, kann meistens einen klaren Tagesablauf einhalten.

Ich bin immer wieder selbst schockiert, wie emotional kalt ich bin.

«Thaiboxen hilft mir, mich zu spüren», sagt sie. Entspannen kann sie am besten mit Lesen, und ihr Hund ist ihr ein lieber Freund. Trotz all dem ist das Leben für sie nicht einfach schön. «Ich spüre nichts. Wenn ich jemandem sage, dass ich ihn liebe oder vermisse, dann tue ich das wegen Pflichtgefühlen.»

Schöne Momente gibt es aber trotzdem. Shannon hat gute Freunde. «Die wissen, dass ich nicht viel Geld habe. Wenn mich jemand zum Beispiel spontan zum Essen einlädt, finde ich das schön.» Und trotz allem hat sie auch Ziele im Leben: «Auch wenn es schwierig ist, weil ich noch keine Lehre habe, würde ich am liebsten mal Psychologie studieren.»

S.O.S. – Sick of Silence

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Wie sieht das Leben junger Menschen aus, nachdem es durch eine chronische Krankheit ausgebremst wurde? Robin Rehmann leidet selbst an einer chronischen Krankheit und unterhält sich in seiner Sendung mit Betroffenen.

Jeden Dienstag, 18-19 Uhr bei SRF Virus oder hier als Podcast.

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