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Rehmann Leonie (23): «Ich wünschte mir, nie wieder aufzuwachen»

Leonie (23) leidet am seltenen Ehlers-Danlos-Syndrom. Dadurch sind ihre Gelenke überbeweglich, entzünden sich immer wieder und renken sehr schnell aus. Bis zur Diagnose ist es ein langer Weg: Kein Arzt findet etwas Ungewöhnliches, Leonie beginnt an ihrem Verstand zu zweifeln.

Die ersten Symptome hat Leonie als Elfjährige in Form von starken Knieschmerzen. Diese werden von den Erwachsenen als normale Wachstumsschmerzen abgetan. «Ich konnte aber teilweise kaum aus dem Bett aufstehen, weil es so wehtat», so die 23-Jährige.

Ärzte und Orthopäden finden nichts Ungewöhnliches – bei keinem Blut- oder Röntgenbild fällt irgendetwas auf, die Entzündungswerte sind normal. Die Fachleute tendieren mit der Zeit auf ein psychosomatisches Leiden. Während sich die unerträglichen Schmerzen auf den ganzen Körper ausbreiten, beginnt Leonie an ihrem Verstand zu zweifeln.

Ich habe gekifft, weil ich mich im Stich gelassen fühlte.

Dann findet sie per Zufall eine Ärztin, die ihre Krankheit kennt. Die Diagnose: Ehlers-Danlos-Syndrom, eine seltene Bindegewebsstörung. Für Leonie ist es vorerst eine riesige Erleichterung, dass ihr Leiden nun einen Namen hat, dass sie sich ihre Schmerzen nicht einbildet.

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Allerdings ist die Krankheit nicht nur selten, sondern auch noch ziemlich unerforscht – und die Symptome schwierig einzugrenzen. Bei Leonie äussert sie sich darin, dass ihre Haut und Gelenke ungewöhnlich dehnbar sind.

Das an sich wäre ja noch harmlos, aber ihre Gelenke entzünden sich schnell und renken sich oft ohne Grund aus. Teilweise sogar, wenn sie einfach die Strasse entlanggeht oder aufs Sofa sitzt.

Der Schmerz, wenn man die Kniescheibe ausrenkt – das wünsche ich nicht meinem schlimmsten Feind.

Und das ist extrem schmerzhaft. Leonie ist sportlich und macht unter anderem Karate. Im Training renkt sich bei einem einfachen Ausfallschritt die Kniescheibe aus. «Ich wurde mehrmals bewusstlos vor Schmerz», erzählt sie.

Nach der Behandlung und der Schonzeit will sie wieder mit dem Sport anfangen – aber es geht nicht. Die Gelenkschmerzen sind zu stark. Den Sport als emotionales Ventil zu verlieren, tut weh. Immerhin hat sie noch die Musik: Leonie spielt Geige und singt fürs Leben gern.

Ich ging am Abend ins Bett und wünschte mir, ich würde nicht wieder aufwachen. Ich wusste, das einzige, was mich am nächsten Tag erwartet, ist unerträglicher Schmerz.

Ihre Gelenkprobleme werden immer schlimmer und dominieren nach und nach Leonies Leben. Eines Morgens wacht sie auf und kann sich überhaupt nicht mehr bewegen. All ihre Muskeln sind versteift. Nur dank fachkundiger Hilfe ihrer Mutter und später eines Chiropraktikers können die Verkrampfungen gelöst werden.

Leonies Leiden führt auch in der Kantonsschule, die sie besucht, zu massiven Problemen. Sie bleibt wegen der Schmerzen oft zuhause und häuft pro Semester bis zu 300 Absenzstunden an. Nach und nach verliert sie den Lebenswillen. Die höllischen Schmerzen und «eine Gesellschaft, die immer 150 Prozent leistet und das auch von mir erwartet» rauben ihr alle Kraft.

Wenn ich 8 Stunden schlafe, überlebe ich den Tag gerade so knapp.

Leonie ist chronisch müde: «Ich kann am Wochenende 15 Stunden schlafen und es fühlt sich an, als wäre es nur eine gewesen.» Die Schule gewährt ihr eine Auszeit und sie geht zum ersten Mal in ihrem Leben für fünf Wochen in eine stationäre Rehabilitation.

Dass die meisten Behandelten dort deutlich älter sind als sie, macht sie traurig. «Du siehst: Du bist halt eine von fünf Prozent dort, die unter 30 sind. Und denkst: Du bist nicht normal, die meisten in deinem Alter haben diese Probleme nicht», erzählt sie. Jedoch helfen ihr die Schmerztherapie und das Gefühl, dass die anderen chronisch Kranken grundsätzlich mit denselben Problemen kämpfen – egal, wie alt sie sind.

Gewisse Freunde wollten mir helfen, aber ich habe gemerkt, dass sie sich dafür verstellen mussten. Das fühlt sich falsch an.

Gerade ist Leonie in einer guten Phase. Sie hat diesen Sommer die Fachmittelschule abgeschlossen. Und einen Mann kennengelernt, der ihr Leben verändert: «Mein Freund schafft es im Gegensatz zu vielen anderen, eine riesige Unterstützung zu sein, ohne sich verstellen oder gross zurückstecken zu müssen».

Mit ihrer Krankheit geht sie generell offen um: «Es ist ein Teil von mir. Die Krankheit hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin, mit guten und schlechten Seiten. Darum kann ich auch dazu stehen.»

S.O.S. – Sick of Silence

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Wie sieht das Leben junger Menschen aus, nachdem es durch eine chronische Krankheit ausgebremst wurde? Robin Rehmann leidet selbst an einer chronischen Krankheit und unterhält sich in seiner Sendung mit Betroffenen.

Jeden Dienstag, 18-19 Uhr bei SRF Virus oder hier als Podcast.

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