Marteria kann etwas sehr, sehr gut: Songs schreiben, die gleichzeitig todernst und mitgröl-feierbar sind. Paradebeispiel dafür gleich beim zweiten Track auf dem Album: «Alien» feat. Teutilla.
«Alien» ist ein klassischer Marteria-Song: Bassig, gut mitsingbar und sehr einfach feierbar. Wenn man aber will, kann man den Track auch als Metapher-befreiten Flüchtlingskrisentrack hören.
«Ich häng mit meinen Freunden den ganzen Tag vor’m Block, sind das Gespött von allen Leuten» singt Teutilla. Ein klares Bild, eine Kritik und eine Aussage, dass Marteria und Teutilla da dazugehören. Der nächste Satz im Refrain «ernähren uns nur von Weltraumschrott» markiert die Stelle, an der der Zuhörer wieder, wenn er will, die Deepness des Lieds vergessen kann, weil Weltraumschrott einfach ein geiles Wort ist, und eben: im Weltraum, also weit weg von uns und unseren Problemen.
«Pleite sein macht scharfsinnig»
Broke Boy Marteria, das kann man sich so gar nicht vorstellen. Aber irgendwie glaubt man ihm bei der Aussage auf «Das Geld muss weg», in der er behauptet, wenn morgen alle Kohle weg wäre, würde er mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf die Strasse hüpfen und ein paar Windschutzscheiben saubermachen. Seine Broke-Skills sind auf jeden Fall on Point: Mit nur 1.80 Euro kam er damals durch, Toastbrot, Discounterwurst und Senf hielten ganze sieben Tage hin.
Man gewinnt mit allen, man verliert allein, es gibt nichts Besseres als einer von vielen zu sein.
Auf «Skyline mit Zwei Türmen» (alles klar Marteria, du warst vor 2001 in New York) rappt sich ein junger Marten durch die Grossstadt und suhlt sich in der Grossstadtanonymität, die ihm dennoch ein Zugehörigkeitsgefühl gibt. Der Teammensch Marten drückt auf dem ganzen Album durch, und der Rapfan Marten geht auf dem Throwback-track in Punchlines und vergleichsweise komplexeren Reimen komplett auf. Fast mein Lieblinssong, wäre da nicht dieser Fisch.
«Blue Marlin» von der Ostsee zu Hemingway
Im Hemingway-Klassiker «Der alte Mann und das Meer» ringt ein vom Pech verfolgter Fischer mit dem Fang seines Lebens, einem monströsen Marlin. Dass Marteria ein Fischnarr ist, weiss man spätestens nach einem Blick auf sein Instagram-Profil , und mit «Blue Marlin» wurde endlich die Ode an seine Freunde, die er liebt und respektiert, aber eben auch essen will, geschrieben. Mein Liebling ist er wegen dem tiefen Vibe, den Marsimoto-esken Bässen, Synthies, creepy Klängen, und dem obskuren Text.
Ein weiterer Höhepunkt ist «Scotty beam mich hoch» - der etwas verzweifelte Versuch Marterias, dem irdischen mal zu entfliehen, nur um zu merken, dass es da oben ziemlich langweilig ist. «Dann lieber zurück in die Scheisse!»
Im starken Kontrast dazu steht für mich der kleine Tiefpunkt des Albums: «Links» ist zwar ein effektiver Party-Polit-Track, doch die klischierten E-Gitarren wecken unangenehme Erinnerungen an Britney, die «We Will Rock You» covert. Textlich nice, aber brrrr, beim Beat krieg ich eine kalte Welle Kitschwasser den Rücken runtergekippt. Aber bei so viel Wortwitz, Intelligenz und Verspieltheit schaut man gerne über so ein Detail hinweg!
Das Album in zwei Sätzen
Insgesamt muss man sagen: Kontraste machen das Ding. Textlich, musikalisch, Stimmung. Marten Laciny kann das wie fast kein anderer im Deutschrap, und auf «Roswell» ist es ihm in vollen Zügen gelungen.