«HATE»: eine queer-core Lovestory
«In Drag bin ich die schönste, liebenswürdigste Version meiner selbst», sagt Dragqueen KETAMIN KARDASHIAN innbrünstig nach ihrem pompösen Lipsinc-Auftritt zu Beginn des Stücks.
Dass hinter den Kulissen der schillernden Drag-Persona auch viel Schmerz und Leid verborgen liegt, wird uns schnell klar. Offenherzig erzählt sie, wie sie in ihrem Leben immer wieder Opfer brutaler homophober Gewalt wurde. Ihr Freund, PRINCEOFCOLOUR, der transgender ist, will sie unterstützen, wird von ihr aber immer wieder mit Kälte zurückgewiesen.
Als Transmann mit afrikanischen Wurzeln kämpft PRINCE im Alltag ausserdem nicht nur mit homophober, sondern auch noch mit rassistisch motivierter Gewalt.
Und dann wäre da noch HADA BRUDA, der Türsteher des Clubs, in dem KETAMIN wöchentlich auftritt. Stolz posaunt er anfangs seine Gräueltaten gegen Schwule und seine homophoben Ansichten heraus – bis wir merken: Auch er hat homosexuelle Neigungen.
Ein Stück von und mit den Performern
Als vor zwei Jahren ein Freund von Film- und Theaterregisseur Dominik Locher ( «GOLIATH» ) auf freier Strasse attackiert und schwer verletzt wird, merkt er, dass er viel von der Lebensrealität queerer Menschen durch seine «Hetero-Brille», wie er sagt, nicht wahrgenommen habe.
Er nahm das erschütternde Erlebnis als Anlass, sich mit der Thematik von Gewalt gegen Mitglieder der «LGBTIQ+»-Community auf eine künstlerische Art und Weise auseinanderzusetzen.
Locher suchte den Kontakt zu queeren Personen und führte Interviews, die zur Basis des Stücks «HATE» wurden.
Ich hatte oft Gänsehaut in den Proben, als ich realisierte, was queere Menschen tagtäglich durchleben müssen
Um das Ganze für die Bühne zu inszenieren, holte er drei Darsteller mit ins Boot. Für die Rolle der Drag Queen KETAMIN KARDASHIAN stand Nightlife-Personality und Drag-Performer Milky Diamond (auch bekannt aus dem Crimer Video «Brotherlove» ) von Anfang an fest. Auch er wurde als homosexueller Mann schon früh mit Hass konfrontiert.
Als ich mit 15 Jahren auf offener Strasse bespuckt und beleidigt wurde, habe ich zum ersten Mal gemerkt: Es gibt eine grosse Gruppe in der Gesellschaft, die mich nicht mag.
Um ähnlichen Konfrontationen aus dem Weg zu gehen, würde Milky in der Öffentlichkeit nie in Drag raus, wie er uns verrät.
Ich möchte nicht riskieren, dass mein Leben durch einen kurzen Moment zerstört werden könnte.
Im Zuge der Recherchen lernte Locher den Genfer Slam-Poet Meloe Gennai kennen, ein Transmann, der sich für die Rechte von «LGBTIQ+»-Menschen und people of colour einsetzt.
Der Dritte im Bund ist Schauspieler José Barros. Aufgewachsen in Billstedt, einem sozialen Brennpunkt vor Hamburg, wurde der selbsternannte «LatinoKanakenHanseat» in einem homophoben Umfeld sozialisiert. Er befreite sich erst spät von der Meinung, dass Homosexualität etwas Krankhaftes sei.
Schonungsloses «In Your Face»-Theater
Das ungewöhnliche Trio führt uns in «HATE» durch einen fulminanten, aber auch verstörenden, aufwühlenden Abend, der sich nicht vor expliziten Gewaltdarstellungen scheut.
So gelungen Regisseur Locher inhaltlich das Verfliessen zwischen traditionellen Geschlechterrollen thematisiert, vermischt er auch unterschiedliche Darstellungsformen. «HATE» ist eine eindrückliche Mischung aus Theater, Performance und Storytelling. Die persönlichen Geschichten, die von den Darstellern mit einer berührenden Offenheit erzählt werden, vermischen sich mit der Liebesgeschichte zwischen PRINCE und KETAMIN, die sich auf ein dramatisches Ende zuspitzt.
So verschwimmen in «HATE» Realität und Fiktion und machen die Message des Stücks mehr als deutlich: es passiert hier, es passiert noch immer und es muss sich noch vieles ändern.