Als wir Laure treffen, steht für sie ein grosser Tag an: Nach gut sechs Wochen Selbstquarantäne darf sie ihren Coiffeursalon in Bern endlich wieder für ihre Kunden öffnen. «Es fühlt sich an wie am ersten Tag nach der Lehre, die Nervosität ist dieselbe», gibt sie zu.
Man muss jetzt beim Arbeiten an viel mehr denken als vorher, das ist mental viel anstrengender als erwartet.
Denn obwohl sich die 28-Jährige sehr auf ihre Kund*innen und den Joballtag freut, bringt die Wiedereröffnung Ende April auch Neues mit sich: Alles muss desinfiziert werden und es gilt Maskenpflicht – etwas, dass sich nach dem ersten Tag als ziemlich anstrengend herausstellt: «Man muss an viel mehr denken als vorher.»
Das Gewicht als emotionales Laster
In der Zeit zuhause ist Anstrengung für Laure fast ein Fremdwort. Zwar nimmt das Kochen für sie einen grossen Platz in ihrem Alltag ein, aber grundsätzlich ist sie weniger aktiv als vor Corona, fühlt sich schwerer und träger.
In der Quarantäne ging ein Teil meines Wohlbefindens verloren. Man macht weniger und isst viel.
Genau das ist es auch, was die Hairstylistin beschäftigt: «Es ging ein Teil meines Wohlbefindens verloren.» Ernährung und das damit verbundene Gewicht ist etwas, dass Laure seit ihrer Kindheit begleitet. «Ich wurde stark gemobbt und habe schon immer zu den Dickeren gehört. Mittlerweile stresst mich das nicht mehr so, weil ich gelernt habe, mich so zu akzeptieren, wie ich bin.»
Vielleicht habe sie sich auch deshalb schon früh tätowieren lassen, sich speziell angezogen und die Haare farbig getragen – für sie ein Weg, das Thema Gewicht zu umgehen und sich trotzdem schön zu finden.
Von der Identitätskrise zur Selbstverwirklichung
Als Teenagerin stürzt Laure in eine Identitätskrise. Sie wusste schon als Kind, dass sie Coiffeuse werden will, hat sich aber dagegen entschieden: «Es hiess, es sei wichtig, viel zu verdienen und einen guten Job zu haben.» Da habe sie überhaupt keinen Plan mehr gehabt, was sie machen wolle.
Ich habe gemerkt, dass ich etwas tun muss, das mich glücklich macht – und das ist eben, anderen Menschen die Haare zu machen.
Mit 20 entscheidet sie sich dann doch, eine Ausbildung als Coiffeuse zu machen. «Ich habe gemerkt, dass ich etwas tun muss, das mich glücklich macht.» Mit Beginn ihrer Ausbildung verliert sie innerhalb eines Jahres über 25 Kilo, die sie als emotionaler Ballast, der von ihr abfiel, beschreibt. «Es war die Ausgeglichenheit und Bestätigung, dass ich etwas mache, das ich gut kann. Das hatte ich vorher nicht.»
Den Traum leben – ohne zu viel an die Zukunft zu denken
Heute ist die 28-Jährige noch immer happy mit ihrer Entscheidung und hat sich kurz vor der Coronakrise gar selbstständig gemacht. Bereut hat sie das nie, auch nicht, als sie nicht arbeiten konnte. «Ich habe nur gedacht: Das Timing von diesem Virus ist 1A…»
Ich habe in dieser Zeit gelernt, dass ich im Moment leben muss – noch viel mehr als vorher.
Was die Zukunft für Laure und ihren Salon bringt, will sie sich gar nicht zu sehr ausmalen: «Ich habe in dieser Zeit gelernt, dass ich im Moment leben muss – noch viel mehr als vorher.» Deshalb versucht sie, gar nicht zu viel zu planen: «Es kommt sowieso anders, als ich es vermute», meint sie.
Laure bei «True Talk»
Lange vor dem Coronavirus sass Laure schon einmal vor unserer Kamera. Bei «True Talk» räumt die Hairstylistin mit Vorurteilen gegenüber ihrem Beruf auf und machte klar: Coiffeur-Preise sind alles andere als zu hoch und dass es eben doch gescheiter sei, einen Salon zu besuchen, als sich zuhause selber die Haare zu schneiden.