14 Wochen Ferien, fetter Lohn und immer um 16 Uhr Feierabend – Primarlehrer sein muss echt geil sein. Oder so.
Zugegeben, für Michael (35), seit 15 Jahren Primarlehrer, ist die Welt um halb acht Uhr morgens noch in Ordnung: Der Kopierer rattert, der Kaffee tut sein Bestes und über dem Schulhaus liegt eine meditative Ruhe. Doch: Um 8 Uhr kommen die Kids. Aus mit meditativer Ruhe. Es wird laut und nie mehr leise.
Ich habe alles versucht: Ein Glöckli, ein ‹Ich-bin-leise›-Schild an der Tafel, Sanktionen- am Schluss hilft eigentlich nur Geduld und Humor.
Bis am Mittag geht also die Post ab und Michael muss als Lehrperson ständig verfügbar sein: «Siiiiiie, ich brauche einen Stift! Wo ist das Hüüselipapier? Aber Siiiieeee, ich verstehe die Aufgabe nicht. Fragen, Fragen, Millionen von Fragen», beschreibt er seinen Alltag.
Natürlich liebt Michael die unermüdliche Neugier seiner Schüler und Schülerinnen und somit seinen Job. Und trotzdem zählt er manchmal ab 09:45 Uhr die Minuten bis zur Pause. Dazu ein kleines Gedankenexperiment: Stell dir das Ganze mal unausgeschlafen und ohne Zigipause vor, denn geraucht wird nur weeeeeit weg von den Kinderaugen, in einer dunklen Ecke der Tiefgarage. Fazit: Als Primalehrer solltest du lieber kein wildes Partyleben führen.
Trotzdem spielt Michael leidenschaftlich in einer Band (nicht mehr Punk, aber trotzdem laut und bis spät in die Nacht) und weiss daher, wie er «schwierige Montage» überlebt: Er empfängt die Kinder mit Meditationsmusik – ooohm.
Elternabend – die Hölle
Die Glocke klingelt. Die Schüler strömen nach Hause und nehmen den Lärm mit. Lehrer Michael würde am liebsten mit nach draussen rennen; zum Fussball spielen oder in den Geigenunterricht. «Um 16h bin ich eigentlich meist schon ziemlich k. o., aber dann muss ich noch den ganzen Bürokram erledigen: Berichte über die Entwicklung der Kinder nachführen, Vorbereitungen für den nächsten Tag treffen und Sitzungen mit dem Kollegium halten.»
Zum krönenden Abschluss des Tages: eine Episode «Meet the parents», was sich für die meisten Lehrer eher anfühlt wie «Get out!» oder «Scream!». Ein Elternabend reicht aber bei Weitem nicht aus, um alle Befürchtungen, Vorwürfe und Vorurteile aus der Welt zu räumen. Eltern können so was wie eine latente Dauerbelastung für Lehrpersonen werden.
Es kommt häufig vor, dass mich Eltern spät am Abend oder sogar am Wochenende per Whatsapp, Facebook oder SMS bombardieren. Ich schreibe dann einfach erst am Montag zurück.
Michael muss den Eltern auch immer wieder klar machen, dass er schon was auf dem Kasten hat – zum Beispiel fünf Jahre Ausbildung zum Primarlehrer. «Und hey, keine Lehrperson kann 20 Jahre lang einen schlechten Job machen, ohne aufzufliegen. Dafür gibt es unzählige Kontrollmechanismen. Der regelmässige Besuch des Rektors, Selbstreflexion, Fremdbewertung durch andere Lehrer, Teamwork und schlussendlich auch die Kinder», verteidigt Michael seine Berufsgattung.
Zu all dem Druck und den Erwartungen an Lehrer und Lehrerinnen kommt selten ein ausgleichendes Lob.
Unser Engagement reicht eigentlich nie. Selten klopft dir jemand auf die Schultern und sagt: ‹Hey, das hast du gut gemacht!›
«Und wenn dann die eigenen Ansprüche an sich selbst auch noch extrem hoch sind und es saumässig schwierig ist sich abzugrenzen, laufen Lehrer und Lehrinnen schleichend in ein Burnout hinein.» Zum Glück hat Michael noch eine Band und verteidigt so sein elternfreies Wochenende.
Aber er wünscht sich für alle anderen pädagogischen Leidensgenossen etwas mehr Verständnis. Drum: Seid doch lieb zu den Menschen, die unsere Sprösslinge auf den Ernst des Lebens vorbereiten. Die Zukunft wird es euch danken. Oder nennt es einfach Karma.