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Club «Männer sind anfälliger für Liebeskummer als Frauen»

Der deutsche Psychiater Günter H. Seidler hat die Auswirkungen von Liebeskummer untersucht. Für viele Menschen ist eine zerbrochene Liebe ein emotionaler Ausnahmezustand. Um Liebeskummer dreht sich auch der aktuelle «Club».

SRF: Kann Liebeskummer zu einer ernsthaften Erkrankung werden?

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Der deutsche Psychiater Günter H. Seidler leitete die Traumaambulanz der Universität Heidelberg und ist Experte für Liebeskummer.

Seidler: Ja. Die Bezeichnung Liebeskummer verniedlicht viel zu sehr. Es ist wirklich schwerer Kummer nach einem Ereignis, das durchaus als völlige Vernichtung erlebt werden kann. So kann es die Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung geben – Intrusionen, Vermeidungsverhalten und Über-Erregung. Die Intrusionen - das ständige «Eindringen» des Verlassenden - werden in vielen Schlagern besungen: «Ich seh' Dich überall!», Vermeidungsverhalten heisst, jemand will mit Liebe nichts mehr zu tun haben und funktioniert nur noch wie eine Maschine. Und Schlaflosigkeit und Rastlosigkeit nach Trennungen sind auch sehr häufig. Aber es kann auch schwere Depressionen geben bis hin zum Suizid und Herzerkrankungen. Das «gebrochene Herz» gibt es wirklich.

Offenbar sind Männer anfälliger auf Liebeskummer als Frauen. Wie erklären Sie sich das?

Das ist die häufigste Frage in diesem Zusammenhang. Und bei meiner Antwort gibt es fast immer Buh-Rufe. Aber es sieht so aus, als ob Frauen robuster sind als Männer. Vielleicht mussten sie diese Eigenschaft entwickeln, schon seit Generationen, um überhaupt überleben zu können. Männer müssen immer leisten und Erfolge vorweisen und sind viel zerbrechlicher in ihrem Selbstwertgefühl. Vielleicht auch eitler. Aber eine Kränkung schlägt bei ihnen meistens viel tiefer durch.

Nicht jeder reagiert gleich auf eine Trennung: Für wen sind sie besonders schwer und warum?

Die Dauer der verlorenen Beziehung spielt kaum eine Rolle. Nach unseren Forschungsergebnissen kann es im Einzelfall von Bedeutung sein, ob die oder der Verlassene in früher Kindheit Gewalt von Eltern oder Geschwistern erlebt hat und damit schon früh geschenktes Vertrauen missbraucht wurde. Die dann im späteren Leben im Rückblick vermeintlich wichtigste Beziehung – also die, die am stärksten überhöht wurde – soll dann alles erlebte Unglück ausbügeln. Und wenn dann diese Beziehung in die Brüche geht, kommt auch das alte Elend wieder hoch.

Aber wichtiger sind der Selbstwert der verlassenen Person, ihr Bindungsstil und die Art der Trennung. Ist der Selbstwert immer schon gering gewesen, bricht er dann völlig ein. War eine Bindung immer schon unsicher und wurde der Partner mehr geschätzt als der eigenen Person Wert zugeschrieben wurde, resultiert «anklammerndes Verhalten». Der oder die Verlassene verliert jeden Haltegriff. Kam die Trennung völlig unvorbereitet, während jemand sein ganzes zukünftiges Leben vielleicht mit der verlassenden Person verbringen wollte, ist das schlimmer, als wenn jemand sich langsam auf ein Auseinandergehen eingestellt hat.

Gibt es Menschen, die einem die Ablösung besonders schwer machen?

Ja, die gibt es: Das sind – vermeintliche - Partner oder Partnerinnen, die wenig Eigenes haben, kaum eigene Wünsche und Bedürfnisse haben und einem quasi jeden Wunsch von den Augen ablesen. Diese Menschen werden dann sehr schnell so etwas wie ein Teil von einem selbst. Sich von so jemandem trennen zu müssen, kann wirklich die Hölle werden.

Braucht es Liebeskummer für eine gute Lebenserfahrung?

Es gibt Erfahrungen, auf die kann man verzichten. Wenn es jemandem gelingt, sich selber besser zu verstehen mit seinen illusionären Wünschen, seinen Riesenerwartungen auf eine «ideale Beziehung» und seinen Bereitschaften, jemandem zu folgen, der oder die einem «das Glück auf Erden» verspricht, kann jemand mitunter gelegentlich vielleicht ein bisschen gestärkter aus derartigen Katastrophen hervorgehen. Aber, wie Leonard Cohen so richtig meinte: «There is no cure for love.»

Hilft es, wenn man nach einer Trennung «Freunde bleibt»?

«Einvernehmliche Trennungen» nach einer stürmischen Liebesbeziehung, verbunden mit dem Plan: «Wir können ja Freunde bleiben», sind meistens oder fast immer eine Illusion. Das ist so, als wenn man einem Alkoholiker, der einen Entzug machen will, abends einen Schnaps gibt, damit er nicht vergisst, wovon er sich gerade löst. Wenn Schluss ist, dann ist Schluss. Und zwar für immer.

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