Wie schafft man günstigen Wohnraum? Sollen die Städte mehr Boden kaufen? Braucht es mehr Genossenschaften?
Nach der Diskussion im «Club» streiten die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran und der Filmemacher Thomas Haemmerli ( «Die Gentrifizierung bin ich» ) hier weiter.
SRF: Eine Studie der Raiffeisen-Bank vom letzten März stellt fest: Die Mieten müssten um 40 Prozent tiefer sein, hätten sie sich gemäss den Regeln des Mietrechts entwickelt. Wer ist schuld am Mangel von preisgünstigen Wohnungen? Was kann man dagegen tun?
Jacqueline Badran : Man kann es drehen und wenden, wie man will. Mehr Zuwanderung, mehr Scheidungen, höherer Flächenbedarf, veränderte Bedeutung der Urbanität. All dies stimmt, ist aber nicht der Kostentreiber. Denn das Angebot hat mit der gestiegenen Nachfrage mitgehalten, es wird gebaut wie noch selten. Das sieht man an der Leerwohnungsziffer, die über Jahrzehnte mehr oder minder konstant ist.
Es braucht Immobilieneigentümer, die freiwillig auf eine Rendite verzichten.
Die Höhe der Mieten hängt allein mit der Eigentümerschaft zusammen. Unser Mietrecht wäre eigentlich gut. Es verbietet Wuchermieten und sieht einen Renditendeckel von 2 Prozent Nettorendite vor. Nur, das Mietrecht lässt sich nicht durchsetze, weil die Transparenz fehlt und die Mieter in der Beweislast sind und dem Vermieter nachweisen müssen, dass die Rendite überhöht ist.
Die Vermieter schöpfen so immer mehr die maximale Zahlungsfähigkeit aus und die anständigen Vermieter sagen sich, wenn es die anderen tun, dann bin ich doch ein Idiot, das nicht auch zu machen. So wurde eigentlich das Mietrecht ausgehöhlt ohne einen einzigen Gesetzestext zu ändern. Das ist ein echter Skandal, der sich schleichend in unser Leben eingenistet hat.
Ich befasse mich seit über 20 Jahren intensiv mit dem Thema. Ich komme immer wieder darauf zurück, dass es Immobilieneigentümer braucht, die freiwillig und statuarisch festgelegt auf eine Rendite verzichten. Und das sind die gemeinnützigen Wohnbauträger wie Genossenschaften und Stiftungen. Klar ist, dass man parallel dazu das Mietrecht in seiner Durchsetzbarkeit verbessern muss.
Thomas Haemmerli : Das kann gut sein. Allerdings ist meine Perspektive eine andere. Ich stelle fest: Wir haben diverse Vektoren, die zu einer höheren Nachfrage nach städtischem Wohnraum führen.
Die Lebenserwartung steigt. In allen grösseren Städten der westlichen Welt wohnen mehr als 50 Prozent in Einpersonenhaushalten. Das platzsparende Wohnmodell «Familie» ist ein Minderheitenphänomen. Kinder kriegen ist auch für ältere Männer plötzlich in Mode gekommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Eltern trennen ist hoch. Neu ist, dass heute auch Väter ihre Kleinen aufwachsen sehen wollen. Deshalb haben Trennungskinder meist in zwei Wohnungen ihr Zimmer.
Dazu kommt: Die Zuwanderung aus dem eigenen Kanton, aus dem Rest der Schweiz und aus der EU. Sowie der Trend zu grösseren Wohnungen. Bei dieser Nachfrage muss man ansetzen. Nehmen wir einmal an, die Raiffeisenstudie stimmt und man könnte die 40 Prozent tieferen Mieten durchsetzen. Dann würden sehr viele Wohnungen billiger, was ja wünschenswert wäre.
Damit hätte man aber nicht mehr Wohnungen. Im Gegenteil. Höhere Mieten zwingen alle, bei denen der Preis eine Rolle spielt, enger zu wohnen. In Paris oder New York etwa, wo die Nachfrage noch höher ist als in Zentren wie Zürich oder Genf, wohnen Leute wegen des Preisdrucks auf weniger Quadratmetern. Das zeigt sich bei Alten, die in viel zu grossen Wohnungen leben.
Werden die Wohnungen billiger, so wäre das wünschbar, es wäre aber keine Lösung für die enorme Knappheit.
Das Mietrecht wirkt bei uns ja preisstabilisierend. Langfristig werden Wohnungen deshalb billiger, wenn es keine Mieterwechsel und keine Renovation gibt. Das führt oft dazu, dass die erwachsenen Kinder ausziehen und Eltern in der zu grossen Wohnung bleiben. Stirbt dann noch ein Teil des Paars oder zieht aus, dann bleibt eine Person in einer grossen Familienwohnung. Auch weil es billiger ist, als sich neu für eine passendere Dreizimmerwohnung zu bewerben.
Fazit: Werden die bestehenden Wohnungen 40 Prozent billiger, so wäre das sicher wünschbar, es wäre aber keine Lösung für die enorme Knappheit. Dazu kommt: Es mag ja stimmen, dass man bei einer genauen Auslegung des Mietrechts bei tieferen Mieten landen würde. Bloss kann mir niemand sagen, wie sich das juristisch von wem durchsetzen liesse.
Heisst: Die Studie mag belegen, dass Hausbesitzer zu viel an Wohnungen verdienen. Das ändert aber nichts an der Misere. Wenn die Feststellung richtig ist, dass der Bedarf steigt – und da habe ich bislang noch keine vernünftigen Einwände gehört –, dann muss man auf der Seite der Produktion von Wohnraum darauf antworten. Wobei man sich streiten kann, wie viel Genossenschaften es sein sollen, wie viel der Staat und wie viel gewinnorientierte Unternehmen erstellen.
Hauseigentümer sagen, es sein kein Menschenrecht, günstig in der Stadt zu wohnen. Was sagen Sie dazu?
Badran : Das ist eine bodenlose Frechheit. Das Gegenteil ist der Fall: Es gibt nämlich kein Menschenrecht auf eine maximale Rendite für Immobilieneigentümer. Auch wenn sie so tun, als gäbe es dies.
Unsere Bundesverfassung verbietet eine Wuchermiete und gebietet gleichzeitig in Art. 41 BV ein Recht eines Jeden auf eine zahlbare Wohnung. Und dies zu Recht. Wir reden hier ja schliesslich nicht über irgendein Konsumgut wie Lippenstifte oder Autos, sondern ums Wohnen. Und das muss man ja, man kann nicht nicht wohnen.
Es gibt kein Menschenrecht auf eine maximale Rendite für Immobilieneigentümer.
Zudem handelt es sich um den grössten Posten im Haushaltsbudget. Und wir reden über das Zuhause von Menschen. Ich finde es ekelhaft, wenn man Menschen, die jahrzehntelang irgendwo wohnen, brav ihre Steuern zahlen und sich vielleicht im Quartierverein engagiert haben, sagt: «Sorry, du musst jetzt gehen, du rentierst nicht mehr.»
Haemmerli : Die Aussage ist etwas polemisch, weil ja niemand ein Menschenrecht auf eine Stadtwohnung postuliert. Wir können aber feststellen, dass so viele Leute aus begehrten Städten wie Zürich oder Genf verdrängt werden, dass es sich um ein Problem handelt, das nicht nur individuell ist. Sondern eines, dass eine gesellschaftliche und das heisst in letztere Konsequenz eine politische Antwort erfordert.
Wohnen in Städten ist ökologischer als das Wohnen auf dem Land.
Ausserdem: Es ist ja wünschbar, dass mehr Leute in Städten wohnen. Das müssen nicht nur die begehrten Zentren Zürich und Genf sein. Aber das Wohnen in Städten ist sehr viel ökologischer als das Wohnen auf dem Land, weil man dichter wohnt und die Wege kürzer sind.
Der Souverän hat mit der Annahme des Raumplanungsgesetzes und der Zweitwohnungsinitiative deutlich gemacht, dass die totale Zersiedelung der Schweiz ein Ende finden muss. Da ist der einzig gangbare Weg Verdichtung und die Konzentration auf Zentren.
Wie kann man mehr bezahlbaren Wohnraum in unseren Städten schaffen?
Badran : Indem man die Expansion der gemeinnützigen Wohnbauträger vorantreibt, die für alle zugänglich sein müssen. Keinesfalls nur für diejenigen mit dem kleinen Portemonnaie.
Dies macht man folgendermassen: Die grösseren Areale, die noch den Städten gehören, werden zu 100 Prozent an Gemeinnützige im Baurecht vergeben. Um Häuser aus dem Bestand zu kaufen braucht es eine städtische Stiftung, die mit dem Auftrag ausgestattet ist, in den Quartieren Immobilien zu kaufen und sie in die Kostenmiete zu überführen. Hat die Stadt zu wenig Land, muss sie dazukaufen. Die Genossenschaften bauen per se dichter und die Bewohner haben einen deutlich tieferen Wohnflächenverbrauch, auch weil man selten genutzte Räume vergemeinschaftet.
Und noch eine Bemerkung: Viele Glauben, mit «in die Höhe bauen» würde man dem Problem gerecht. Das ist ein Mythos. Die dichteste Form sind Altstädte und nicht Hochhäuser. Zudem sind Hochhäuser überproportional teuer, weshalb dort immer riesige Luxuswohnungen entstehen. Wenn man also die Verdichtungsschiene fährt und in Kauf nimmt, dass alles gefälligst zusammenzurücken habe, dann muss man moderne Altstädte fordern.
Haemmerli : Nicht alle Städte haben ein Problem mit Wohnraum. Und in den Grosszentren ist das Problem nicht allein der günstige Wohnraum, sondern Wohnraum ganz generell – mit Ausnahme des Luxussegments.
Einfache Lösungen gibt es nicht. Es braucht einen Mix von Massnahmen, der von der Prämisse ausgeht, dass das Angebot energisch zu erhöhen ist. Das müssen Genossenschaften sein, das müssen Deals sein, bei denen sehr hohe Ausnutzung mit einem Anteil an verbilligten Wohnungen abgegolten wird, das müssen steuerliche Anreize sein für den Ausbau von Dachstöcken oder das Aufstocken von Wohnraum. Alles, was die Produktion von Wohnraum ankurbelt, ist zu begrüssen oder mindestens in Betracht zu ziehen.
Die Linke muss zwei Dinge lernen. Es geht nicht nur darum, bestehenden Wohnraum gegen Aufwertung zu verteidigen. Sondern wegen der steigenden Nachfrage muss man von der Produktion her denken. Und die Linke sollte akzeptieren, dass auch profitorientierter Wohnbau einen wichtigen Beitrag an die Bereitstellung von Wohnraum leistet und deshalb nicht stets als üble Spekulation zu schmähen ist.
Dass die Baubranche nicht allzu innovativ ist und sich nur wenig dafür interessiert, wie Leute tatsächlich wohnen und wie sich ihre Bedürfnisse im Laufe der Zeit verändern, das ist ein weiterer Hemmschuh.
Wollte man tatsächlich dichtere Städte, so bräuchte man eine Art «New Deal», einen Kompromiss zwischen den linken Städten und den oft bürgerlichen Kantonen in Sachen Mehrwertabschöpfung. Und Kompromisse zwischen Wohnproduzenten und Städten, die
- deutlich mehr Ausnützung erlauben
- massiv mehr Wohnraum schaffen
- mit dem geschaffenen Mehrwert
- gemeinnützigen Wohnraum finanzieren
- massgeblich an die Infrastrukturkosten beitragen
Ausserdem braucht es
- höhere Ausnützung überall da, wo gemeinnütziger Wohnraum möglich ist
- Planungsinstrumente, die an geeigneten Stellen massiv höhere Ausnützung des Bodens erlauben
- eine Abkehr von der antiquierten Vorstellung, Hochhäuser dürften nur Akzente und kein Mittel der Verdichtung sein
Was sind die Hürden dabei?
Badran : Eigentlich gibt es ausser den ideologischen Hürden im Kopf keine. Die sogenannt Bürgerlichen sagen, es sei keine Aufgabe des Staates, Wohnungen zu bauen. Das ist grotesk und ungefähr so, wie wenn man sagen würde, die Bereitstellung von Wasser sei keine Staatsaufgabe.
Die Gemeinwesen haben sich um alle essentiellen Güterklassen (das sind Wasser, Luft und Boden) zu kümmern. Immerhin, Boden und Immobilien sind mit Abstand das grösste volkswirtschaftliche Gut – allein unsere Wohnimmobilien haben einen Wert von 2,2 Billionen Franken! Da ist es schon entscheidend, wer die Gewinne hier einstreicht.
Die zweite Hürde ist, dass viele Politiker behaupten, das könne man sich nicht leisten (natürlich eingeredet von der Immobilien-Lobby). Das ist ein mindestens so lapidares Argument. Boden kaufen und im Baurecht abgeben war und ist für jede Gemeinde und in allen Zeiten Big Business. Erstens ist der Landkauf keine Ausgabe, sondern ein Aktiventausch, man tauscht Geld gegen Land oder Immobilie.
Anders als bei Strassen hat die Gemeinde bei Bauland einen monetären Ertrag in Form von Baurechtszinsen, die die Kapitalkosten bei weitem übertreffen. Zudem bleiben die Wertsteigerungen von rund 3-6 Prozent jährlich im Volksvermögen. Eigentlich kann man mit ökonomischem Recht sagen: Kein Land zu kaufen ist Veruntreuung von Steuergeldern und Volksvermögen.
Haemmerli : Baupolitik ist überall hochspezifisch und hochkomplex. Man hat es zu tun mit Vorschriften auf den Ebenen Bund, Kanton und Gemeinde. Dazu kommen die enorm ausgebauten demokratischen und individuellen Rechte, die dazu führen, dass für jedes neue Projekt eine Handvoll Personen enorm Sand ins Getriebe werfen kann.
In Zürich hatte der Stadtrat bei der neuen Bau- und Zonenordnung ursprünglich noch weniger Ausnützung vorgesehen. Ein Kompromiss von SP und FDP führte dann zu einem äusserst moderaten Mehr bei der Ausnützung, so dass die Vorlage ohne Opposition durch den Gemeinderat kam. Jetzt droht aber eine Totalblockade von den Heimatschutz-Ultras, die nicht nur bedeutende Baudenkmäler schützen wollen, sondern der Stadt das Recht auf Veränderung und Wachstum verwehren.
Dann hat man all die Nachbarn, die aus Eigennutz jedes Bauprojekt mit Einsprachen eindecken, sei es, weil sie sich finanzielle Vorteile erhoffen, sei es, weil sie den Baulärm nicht wollen, sei es, weil sie finden: Eine lebendige Stadt ist prima, aber bitte nicht bei mir um die Ecke.
Die Heimatschutz-Ultras verwehren der Stadt das Recht auf Veränderung und Wachstum.
Zu diesen ewigen Schwierigkeiten kommt hinzu, dass in der Schweiz die Städte links regiert sind. Und da wehrt man sich gegen mehr Ausnutzung. Zum Teil aus rationalen Gründen, weil man argumentiert: Kann man mehr ausnutzen, so werden Gebäude mit billigen Wohnungen durch Neubauten mit teuren Wohnungen ersetzt. (Wobei: Gibt es einen eklatanten Mangel, kommt das sowieso. Einfach ohne ein Mehr an Wohnungen.) Zum Teil aber auch aus Borniertheit oder dem Hang zum Kleinräumigen, Gemütlichen, Antistädtischen.
Max Frisch spottete schon in den Fünfzigern über die dörflichen Städte, bei denen man vor allem in dreistöckigen Häusern wohnt. Noch heute leben in der Schweiz 90 Prozent zwischen Parterre und drittem Stock, in einer Stadt wie Zürich weit über 80 Prozent.
Es hat also noch viel vertikales Potential, ohne dass sich die Stadt gross verändern würde. Jedes Mal, wenn ich in Madrid oder Hamburg bin und all die fünf-, sechsstöckigen Häuser aus der Gründerzeit sehe, denke ich: Davon könnten wir uns in der Schweiz eine Scheibe abschneiden.
Mehr Genossenschaften könnten eine Lösung dafür sein. Warum haben finanziell schlechter gestellte Haushalte oft keine Chance auf eine Genossenschaftswohnung?
Badran : Es haben alle schlechte Chancen auf eine Genossenschaftswohnung, solange die Nachfrage das Angebot deutlich übersteigt. Ich jedenfalls kennen niemanden, der keine Genossenschaftswohnung will. Die Fluktuation bei Genossenschaften und Stiftungen ist allgemein äusserst klein. Wieso sollte jemand auch gehen, wenn jede Alternative mindestens 1000 Franken teurer ist pro Monat?
Zudem sind die Leute auch – zum Glück – verwurzelt. Ist die Genossenschaft nicht gross genug um intern abzutauschen, kommt es auch vor, dass ältere Menschen, deren Kinder schon ausgezogen sind, in der nun zu grossen Wohnung bleiben. All dies spricht nur für eines: mehr Genossenschaftswohnungen für alle.
Haemmerli : In erster Linie, weil es nicht genügend Genossenschaftswohnungen gibt. Und dann spielen Zufall, Beziehungen oder Kriterien eine Rolle, die nicht jedermann erfüllt. Es gibt eine Genossenschaft, von der es heisst, der Verwalter tausche Wohnungen gegen sexuelle Vorteile. Das mag stimmen oder nicht. Aber wenn ein Gut dermassen knapp ist, wie bezahlbare Wohnungen, dann findet sich kaum je ein wirklich gerechter Verteilschlüssel.
Und es gibt auf der Linken ja auch die Vorstellung, dass jedermann eine günstige Wohnung haben sollte. Das führt zu der absurden Konstellation, dass die Linke dafür kämpft, dass auch Grossverdiener und Vermögende dank Kostenmiete tiefsten Wohnzins bezahlen, derweil die Bürgerlichen plötzlich ihr Herz für sozial Schwache entdecken und strengere Zuteilungsregeln fordern.
Eine Idee: Der Staat soll möglichst viel Boden kaufen und gemeinnützig freigeben. Ist das realistisch? Für wen rechnet sich das?
Badran : Land kaufen ist immer «Big Business» für das Gemeinwesen. In den 50er Jahren hat die Stadt Zürich Land im Kreis 5 gekauft für 200 Franken. Damals schimpfte die FDP, der Stadtrat hätte sich über den Tisch ziehen lassen, das Land sei höchsten 100 Franken Wert. Heute, rund 70 Jahre später, ist das Land 5'000 Franken Wert.
Zudem kommen die völlig risikofreien garantierten Baurechtszinsen dazu, die die Stadt jährlich einnimmt. Zeigen sie mir ein besseres Investment und ich revidiere meine Meinung.
Die Bevölkerung profitiert nicht nur von den Einnahmen und Vermögen, sondern auch von den um rund 30 Prozent tieferen Mieten, welche die Genossenschaften haben gegenüber Renditeorientierten. Und jeder Steuerfranken, der in Infrastrukturen wie Schulhäuser, Parks, öffentlichen Verkehr fliesst, erhöht den Wert der Immobilien, was die Immobilienbranche zur meistsubventionierten Branche überhaupt macht. Davon profitieren alle aber nur, solange der Boden im Eigentum der Gemeinschaft ist.
Alles in allem ist gemeinschaftlicher Bodenbesitz eine Win-Win-Situation. Die einzigen Verlierer sind die renditeorientierten Immobilieneigentümer.
Haemmerli : Ich bin zu wenig Fachmann, als dass ich das mit allen Variablen wirklich seriös durchrechnen könnte. Aber: Es ist ja nicht nur eine Frage des Bodens. Wenn der Staat Boden kauft, ihn dann aber – wie in Zürich – nicht richtig ausnützt, dann bringt das nur wenig.
Ein Beispiel: Die Stadt Zürich hat an der Rosengartenstrasse ein Projekt ermöglicht für StudentenInnenwohnraum, der tatsächlich dringend fehlt. Dabei hat man als erstes einmal einen Drittel für einen Park ausgespart. Obwohl man von dort im Nu am Käferberg oder an der Limmat unten ist. Dann hat man das Gebäude auf drei Stockwerke beschränkt. Eine Vertreterin der Stadt meinte, das sei «aus Respekt vor dem Quartier». Was natürlich kompletter Nonsens ist. Dazu kam: Im untersten Stock hat man noch eine Kita untergebracht, weil es das ja auch noch braucht.
Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass bestehender Boden nicht richtig genutzt wird. Oder nehmen wir ein Paradebeispiel der rotgrünen Zürcher Stadtregierung: Die Überbauung Kalkbreite auf die sie sehr stolz ist. Nicht zu Unrecht, weil es ja ein paar sehr gute Innovationen hat.
Aber: Man weiss aus der Jury, dass der Vertreter der Stadt von Anfang an klar gemacht hat, ein Hochhausprojekt komme nicht in Frage. Man hätte dort sehr viel mehr günstigen Wohnraum erstellen können, aber ideologische Verkrustungen, das Geschwafel von der «Identität der Stadt» usw. führen dazu, dass man dort, wo man könnte, nur für wenige Glückliche billigen Wohnraum erstellt.
Drei Gehminuten entfernt steht die Hochhaussiedlung Lochergut aus den sechziger Jahren, die äusserst beliebt ist und auch preiswerte Wohnungen bietet. Die damalige, sehr viel mutigere Stadtregierung hätte dort gerne noch etwas höher gebaut. Gebremst hat damals der Kanton. Heute übernimmt die Linke diese konservative Rolle, weil hohe Ausnützung als etwas Negatives gesehen wird.
Wenn der Staat Boden kauft, ihn dann aber – wie in Zürich – nicht richtig ausnützt, dann bringt das nur wenig.
Kurzum, staatlicher Boden reicht nicht als Lösung, es braucht höhere Ausnützungsziffern. Und in einem konservativen Land wie der Schweiz wird es in absehbarer Zeit nicht möglich sein, dass man genügend Land in Staatsbesitz überführen könnte, dass die Mieten sinken würden. Jetzt einmal ganz davon abgesehen davon, ob man das wünschenswert findet oder nicht.
Fazit: Mehr Boden in staatlicher Hand mag da und dort mehr billige Wohnungen bereitstellen, mindestens mittelfristig ist das aber kein gangbarer Lösungsweg.
Man kann sich fragen, ob es der Markt richten würde? Schaut man nach Grossbritannien, wo unter Thatcher alles liberalisiert und privatisiert wurde, so stimmt das nicht sehr hoffnungsvoll. «Markt» ist ja bloss ein theoretisches Konstrukt mit dem man ökonomisches Handeln beschreibt.
Beim Wohnen hat man fast unüberwindbar hohe Hürden für neue Markteilnehmer, die Wohnraum schaffen könnten. Und der Markt spielt auch nicht, weil man seine Wohnung, selbst wenn es Auswahl gäbe, nicht so einfach wechseln kann wie eine Krankenkasse.
In Grossbritannien lassen Firmen Grundstücke lieber unbebaut, weil das wegen der stetigen Wertsteigerung ohne grosse Mühe Buchgewinne erzeugt, welche sich in Boni fürs Management verwandeln. Handkehrum winken in Schweizer Städten bei der Erstellung von mehr Wohnraum so viele Profite, dass gewinnorientierte Firmen produzieren, wenn sie können.
Zu Recht verlangen Städte einen anständigen Anteil an Infrastruktur, Schulen etc. Städte müssten mehr Ausnützung erlauben, derweil die kantonalen Gesetzte anständige Abschöpfung von Mehrwert und clevere Deals ermöglichen muss.
Was sind die Folgen der Gentrifizierung?
Badran : Die Folgen sind dramatisch. Nicht nur verlieren Menschen eigentlich ohne Not ihr zu Hause, ihre Heimat. Gesellschaftspolitisch führt Gentrifizierung zu einer absolut unschweizerischen Entmischung.
In gewissen Gemeinden wie Küsnacht, vergeben sie nur noch Land an Gemeinnützig, weil sie niemanden mehr finden, der sich in der Gemeinschaft engagiert und die Dörfer so regelrecht zu Schlaf- und Repräsentationsstätten verkommen, wie das einmal ein FDP-Gemeinderat von Küsnacht sagte. Wir wollen in der Schweiz keine Reichenviertel und Armenghettos. Unter keinen Umständen darf das passieren.
Gentrifizierung führt zu einer absolut unschweizerischen Entmischung.
Aber noch gravierender sind die Folgen der Gentrifizierung aus volkswirtschaftlicher Perspektive. Der Immobilienmarkt ist der grösste Umverteilungsfaktor von Arbeit (Löhnen) zu Kapital (Immobilienbesitz). Milliarden Franken fliessen jährlich zu viel in den Immobilienmarkt, indem man den Leuten zu viel aus der Tasche zieht. Das ist inakzeptabel.
Tiefe Mieten sind immer noch der beste Konsummotor, die beste Altersvorsorge, die beste soziale Sicherheit. Deshalb hat die ganze Politik der Gentrifizierung durch zu hohe Wohnkosten (auch im Wohneigentumsbereich) entschieden entgegenzutreten. Genossenschaften bieten hier den Ausweg und den dritten Weg, die Mischung aus Wohneigentum und Miete.
Haemmerli : Gentrifizierung gibt es in verschiedenen Formen. Am Uninteressantesten ist es, wenn man sich auf Lifestyle-Phänomene einschiesst und etwa feststellt, dass ein Quartier plötzlich mehr junge Männer mit Vollbärten und Frauen mit überteuerten Yogamatten beherbergt. Denn das ist auch dem Wandel der Zeit geschuldet: Die Videothek weicht dem Meditationsstudio, der Schnipo-Wirt geht in Pension, es folgt eine Pizzeria für Gluten-Hysteriker.
Die normale Form von Gentrifizierung: Es gibt eine Aufwertung, weil die Polizei Junkies, Prostituierte und Freier vertreibt, oder weil man eine Strasse verkehrsberuhigt. Dann lohnt es sich für Hausbesitzer neu zu bauen oder total zu sanieren. Folge: Wer da wohnt, muss eine neue Bleibe suchen. Die Mieten steigen massiv. Mieten werden zu Stockwerkeigentum.
Zuweilen ist es auch umgekehrt. Solvente Schichten ziehen vermehrt in ein Quartier und verlangen dann, dass man verkehrsberuhigt und Randgruppen vertreibt. Auch dann verändert sich die Zusammensetzung eines Quartiers.
Ausserdem gibt es noch eine diskretere Form von Gentrifizierung: Ein Teil der Bewohner mag in Genossenschaften wohnen oder aus anderen Grünen in einem m Quartier bleiben, das aufgewertet wird. Aber plötzlich sind Restaurants, Geschäfte und Kaffeehäuser dermassen hochpreisig, dass Altbewohner am Quartierleben kaum mehr Anteil haben können.
Das Gespräch führte Barbara Lüthi.