Im Aargau löst «Der Bestatter» ein wohliges Wir-Gefühl aus: «Endlich sind wir wieder wer!» Doch punkto Emotionen kommt der Mittellandkrimi erst an zweiter Stelle. Zuvorderst steht die Erinnerung an eine Zeit, als der kleine FC Aarau die Schweizer Fussballszene aufmischte.
1981 schaffte der Klub nach mehreren Jahrzehnten in der Nationalliga B den Aufstieg. Trainiert wurde bloss vier Mal die Woche. Die meisten Spieler betrieben den Sport nicht professionell.
Aarau im Fussballfieber
Die Wende brachte ein Bundesligaprofi, der nach seinem Karriereende eigentlich Lehrer werden wollte: Ottmar Hitzfeld. Die als «Gurkentruppe» verunglimpfte Schar aus Amateuren und Jungtalenten lehrte der Liga das Fürchten und schaffte es in den Cupfinal.
Die Aarauer und ihr Held
Beim Name «Iselin» wird es vielen 40+ Aarauern warm ums Herz. Der beim FC Zürich ausgemusterte Walter Iselin schoss im Cupfinal am Pfingstmontag 1985 den Klub aus aussichtsloser Distanz ins Glück. Seinen Torjubel beschrieb der «Tages-Anzeiger» politisch inkorrekt als «Indianertanz».
Das erste Hitzfeld-Jahr versetzte die ganze Stadt ins Fussballfieber und machte aus dem FC Aarau den «FC Wunder». Die Bilanz lässt sich sehen: Cupsieger, Vizemeister und Trainer des Jahres.
Das Fachblatt «Sport» wählte Publikumsliebling Charly Herberth zum besten ausländischen Spieler. Ähnlich erfolgreich: Captain Rolf Osterwalder wurde 1985 zum «most valuable player» erkoren. Für Osterwalder kein Grund, sein 70-Prozent-Pensum als Versicherungsberater zu reduzieren.
Adieu Hitzfeld!
Der Erfolg lockte hochkarätige Spieler an. Der neuseeländische Nationalspieler Wynton Rufer bildete mit dem Dänen Lars Lunde ein schlagkräftiges, wenn auch kurzfristiges, Sturmduo.
Im April 1988 übersah der Däne im strömenden Regen ein Signal und raste in einen Zug. Lars Lunde erholte sich nie von den schweren Kopfverletzungen und beendete mit 26 Jahren seine Karriere. Trotz des Ausfalls des talentierten Stürmers, schaffte es der FC Aarau in der Meisterschaft 1988 auf den dritten Platz.
Ottmar Hitzfeld erlag dem Werben der Grossklubs. Er zog weiter zu GC und nahm Sportchef Erich Vogel mit. Hitzfelds kaltherziges «Ich gehe ohne Wehmut, Fussball ist ein knallhartes Profigeschäft – für Emotionen hat es da keinen Platz», dürfte auch den Diskussionen mit FC Aarau-Präsident Peter Treyer zuzuschreiben sein.
Die schwierigen Jahre
Captain Osterwalder war vom Abgang Hitzfelds enttäuscht – auch menschlich. Der Trainer, den er als Freund betrachtete, habe ihn vor seinem Wegzug mehrmals im falschen Glauben gelassen, erzählte Osterwalder dem «Aargauer Tagblatt». 1989 trat Osterwalder zurück, seine Hoffnung auf einen Posten im Verein erfüllten sich nicht.
Der Abgang von Osterwalder fiel mit durchzogenen Jahren zusammen. Vier Trainer gaben sich die Klinke in die Hand, bis 1992 mit Rolf Fringer der Erfolg ins Brügglifeld zurückkehrte.
Lichtblick Rolf Fringer
Rolf Fringer kam vom FC Schaffhausen zum «FC Wunder». Er scharte einige Ausnahmespieler um sich, etwa Uwe Wassmer, Andreas Hilfiker oder den bulgarischen Nationalstürmer Petar Aleksandrow.
Bemerkenswert war die Begründung von Roberto Di Matteo, wieso er den FCZ zugunsten von Aarau verlassen hatte. Unter Fringer könne er die grösseren Fortschritte machen, als im Letzigrund, so Di Matteo. Er sollte Recht behalten. Di Matteo gilt für viele Fans als bester Spieler, der je beim FC Aarau war.
Die Qualifikation der Saison 92/93 beendete der FC Aarau auf dem fünften Rang und trat dann zu einem Sturmlauf an die Spitze an. Bloss ein Spiel verlor der Klub in der Finalrunde. Am 12. Juni 1993 nahm Captain Bernd Killian den Pokal entgegen – der FC Aarau war Meister. Zum ersten Mal seit 1914.
«Die Unabsteigbaren»
Di Matteo verliess den Klub nach der gewonnenen Meisterschaft und wechselte zu Lazio Rom. Der FC Aarau blieb noch eine ganze Weile der «FC Wunder», trotzte dem AC Milan auswärts ein 0:0 ab und schickte im Brügglifeld auch schon mal GC mit einer 5:1-Klatsche nach Hause. Zwischen 1993 und 1997 qualifizierte sich Aarau fünfmal hintereinander für europäische Wettbewerbe.
Zunehmend musste sich der Klub mit Plätzen am Tabellenende zufrieden geben, rettete sich einige Mal in letzter Sekunde vor der Relegation. So erhielt der Klub einen neuen Übernamen: Aus dem «FC Wunder» wurden «Die Unabsteigbaren». Ein neuer Mythos war geboren.