Etwas abgekämpft erscheint Samuel Streiff zum Treffen im «Sphères» – einer Zürcher Bar, die zugleich Buchhandlung ist. Der 42-jährige Schauspieler kommt direkt von einer anstrengenden Theaterprobe.
«Im Stück geht es um ein Ehepaar, das eine Nacht lang streitet – am Ende prügeln sie sich sogar. Mir tut alles weh. Früher hab ich das locker weggesteckt, heute macht sich das Alter bemerkbar», sagt Streiff und lacht.
Viele Bücher, wenig Krimis
Lachen – Streiff tut dies oft und herzlich, trotz der Müdigkeit. Im Sphères trinkt Streiff derzeit häufig seinen morgendlichen Kaffee und lernt dazu Text. Den Ort schätzt er wegen der Atmosphäre und den Büchern.
Samuel Streiff ist leidenschaftlicher Leser, verschlingt Romane, Sachbücher und historische Abhandlungen – bloss Krimis liest er kaum. «Der beste Krimi, den ich kenne, ist Umberto Ecos ‹Der Name der Rose› – den hab ich gleich mehrmals gelesen. Seither haben es andere Krimis schwer bei mir.»
Doerigs Unbeholfenheit
Er selber ist derzeit wieder in der Krimiserie «Der Bestatter» zu sehen. An seiner Figur, dem Ermittler Reto Doerig, schätzt er die liebenswürdige Unbeholfenheit, die dieser bei seinen Einsätzen bisweilen an den Tag legt.
«Doerig scheitert immer wieder an sich selber. Das ist eine Lebensrealität, mit der ich viel anfangen kann», sagt Streiff.
Streiff stand vor dem «Bestatter» vorwiegend auf der Theaterbühne. Die Arbeit am Set einer TV-Serie hat ihm neue Perspektiven eröffnet. «Ich habe viel gelernt. Und ich liebe die Dreharbeiten. Auf diesem Gebiet würde ich gerne noch viel, viel weiter gehen.»
Von Zug nach Johannesburg
Aufgewachsen ist Samuel Streiff in London und Walchwil am Zugersee. «Sehr wohlbehütet», wie er selber sagt.
Einen ersten Ausbruch wagte er als 17-Jähriger. 1993 ging er für ein Jahr nach Südafrika. Nelson Mandela stand vor der Wahl zum ersten schwarzen Präsidenten des Landes, es herrschte Aufbruchstimmung in Streiffs farbiger Gastfamilie.
Schüsse statt Idylle
«Ich habe wahrscheinlich einen Gegenentwurf zum superprivilegierten Zugerseeidyll gesucht.» Den fand er: Unvermittelt wurde Streiff mit einer Gesellschaft konfrontiert, in der Hautfarbe eine traumatische Rolle spielte.
Und die erste Party endete mit Schüssen. In die Luft zwar, ein bisschen Herzklopfen habe er aber schon gehabt, als er sich mit seinen Gastbrüdern hinter einem Auto in Deckung brachte.
Bald fand er in Johannesburg einen Theaterclub und pflegte seine Leidenschaft weiter: die Schauspielerei. Statt sich ins Nachtleben zu stürzen, vertiefte er sich in Theaterliteratur. «Das mag in dem Alter etwas seltsam gewirkt haben. Mich machte es glücklich.»
Den Platz auf der Bühne gefunden
Streiff beschreibt sich selber als schüchtern. Als Jugendlicher habe er lange gesucht, wo er hingehört. Auf der Bühne fand er seinen Platz. «Die klare Rollenverteilung war eine Erleichterung: Hier wir Schauspieler auf der Bühne, dort das Publikum. Für zwei Stunden war alles klar.»
Nach seiner Rückkehr aus Johannesburg bestand er ein Jahr vor der Matura die Aufnahmeprüfung zur Schauspielschule. Das Gymnasium brach Streiff ab. Ein Schritt, der zu Hause intensiv diskutiert, aber unterstützt wurde. Bis heute bereut er ihn nicht.
Facettenreicher Beruf
Neben Engagements vor der Kamera und auf der Theaterbühne ist Streiff auch als Sprecher tätig. In «10vor10» und der «Tagesschau» vermittelt er Aspekte des täglichen Weltgeschehens, für die Schweizerische Bibliothek für Blinde, Seh- und Lesebehinderte (SBS) spricht er Hörbücher ein.
Die Tätigkeit als Off-Sprecher sei herausfordernd, so Streiff. «Manchmal habe ich Mühe, auf den Bildschirm zu gucken: unsere Welt kann ein grausamer Ort sein. Dennoch habe ich neutral zu bleiben: Meine Stimme transportiert den Inhalt, meine Gefühle haben hier nichts zu suchen.»
Ganz im Gegensatz zum Spiel auf der Bühne oder beim Einlesen von Hörbüchern: «Da muss man richtig eintauchen können.»
Bei all diesen verschiedenen Tätigkeiten kommen unterschiedlichste Aspekte des Schauspielberufs zum Tragen. Begeistert schliesst er das Gespräch: «Dass ich das alles machen darf, ist ein Glück. Das hätte ich mir nie träumen lassen.»