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Florian Opitz im Film «Speed».
Legende: Florian Opitz im Film «Speed». SRF
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SRF DOK «Habe ich Sie jetzt gestresst?»

Alle sind in Eile, sputen von hier nach da. Dokumentarfilmer Florian Opitz hält in seinem Film «Speed» der digitalen Gesellschaft den Spiegel vor. Im Interview spricht er über Zeitmangel, Stress und die Sehnsucht nach Sinn.

SRF DOK: Guten Tag Herr Opitz, ... jetzt haben Sie mich gerade etwas gestresst.

Florian Opitz: Das tut mir leid, warum denn?

Sie haben mich von meinem «heiligen» Mittwoch-Mittag-Turnen weggeholt. Ich musste dort früher weggehen, damit ich Sie zur gewünschten Zeit anrufen kann. Für mich ist das ein rarer, fixer Termin, den ich mir zu gönnen versuche.

Das war nicht meine Absicht, aber so ist es heutzutage doch irgendwie. Ich bin auch gerade im Stress. Ich muss Arbeit und drei Kinder unter einen Hut bringen. Wir haben gerade unser drittes Kind bekommen.

Dann habe ich Sie auch gestresst?

Ach, nein, nicht wirklich. Was bei mir momentan eher Stress auslöst, sind die E-Mails, die ich abarbeiten muss, weil so vieles liegen blieb.

Aber wenn so etwas Existenzielles wie eine Geburt «dazwischen kommt», dann bleiben die E-Mails eben liegen und das ist auch gut so.

Bloss: Ich bin freiberuflich und da muss ich dran bleiben.

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Woher kommt die verdammte Raserei?
Aus DOK vom 01.01.2014.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 46 Sekunden.

Die ständige Erreichbarkeit, die E-Mails sind für viele Stress pur. Haben Sie aktiv etwas dagegen getan?

Ich bin durch den Film «Speed» nicht zu einem anderen Menschen geworden. Drei Kinder und Job, das ist einfach anstrengend und Feierabend gibt es derzeit nicht so richtig. Gerade von E-Mails lasse ich mich manchmal stressen, denn berufliche Anfragen muss ich natürlich ansehen und beantworten. Auch Ihre Anfrage für dieses Gespräch konnte ich schlecht liegen lassen…

Das ist nett. Wie alt sind Ihre Kinder?

6, 3, und 0, sozusagen. Sie brauchen viel Zuwendung und müssen tagsüber an verschiedene Orte gebracht werden. Zur Schule, in die KITA.

Ich renne derzeit ständig herum, meine Frau ist mit dem Kleinen daheim.

Drei Kinder, das ist schon eine eher grössere Familie. Mich dünkt, es gibt wieder den Trend zu mehr Kindern. Wie erklären Sie sich das, warum tun sich so viele so viel Stress an ?

Ich glaube die Krise von 2008 hat bei vielen Menschen etwas freigesetzt. Sie überlegen sich, was den Sinn des Lebens ausmacht. Nicht nur im Job, sie suchen etwas, das daneben auch noch glücklich machen könnte. Ich glaube, dass viele erkannt haben, dass es auch etwas Schönes ist, Kinder zu haben, eben nicht nur Stress. Etwas Sinnstiftendes – zumindest für mich.

Wie gut bringen Sie denn jetzt gerade Familie und Beruf auf die Reihe?

Tja, es geht so. Wie gesagt, ich bin freiberuflich, ich kann mir keine längere Absenzen leisten. Wenn ich meine kinderlosen Kollegen so sehe, die haben eindeutig mehr Zeit als ich, ich bin eingeschränkt.

Zuhause kann es auch zu Streit und Konflikten kommen, das liegt daran, dass in Beziehungen heutzutage offener verhandelt wird, wer wann «in charge» ist. Bei unseren Eltern war das sicher anders. Aber ich finde, diese Erfahrungen machen uns auch reicher.

Unsere Eltern hatten also weniger Stress?

In gewisser Weise mit Sicherheit. Ich denke, wir haben heute mehr Druck, sowohl bei der Arbeit als auch in der Freizeit. Aber wir haben auch viel mehr Optionen. Das hat viel mit der Digitalisierung zu tun, alles ist jederzeit verfügbar. Wir machen deswegen leider aber auch weniger Lebenserfahrungen.

Ich zum Beispiel bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, ich war Punkrocker.

Ich musste mich jeweils in die nächste Grossstadt aufmachen, um dort in Plattenläden zu gehen und nach meiner Musik zu stöbern. Ich musste mir meine jugendlichen Subkulturen noch «erarbeiten». Das war auf jeden Fall identitätsstiftend.

Heute, scheint mir, gibt es das so nicht mehr. Man kann alles online bestellen. Zu jeder Zeit. Aber dadurch fallen auch viele Erfahrungen weg, die man früher noch machen konnte.

Herr Opitz, mir fällt gerade auf, ich habe Ihnen noch gar nicht zur Geburt Ihres Kindes gratuliert. Also: Herzliche Gratulation, geht es allen gut?

(Lacht) Danke! Soweit ist alles gut, das Kind ist sehr klein, das Geburtsgewicht war 1700 Gramm. Wir machten uns schon Sorgen, aber nun ist alles okay. Mutter und Kind sind wohlauf.

Video
Redaktor Alex Rühle lebte ein halbes Jahr ohne Internet und Handy
Aus DOK vom 01.01.2014.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 51 Sekunden.

Das ist schön zu wissen. Herr Opitz, letzte Frage noch: Sie haben einen Film über die Suche nach der verlorenen Zeit gemacht. Hat Sie die Arbeit am Film etwas gelehrt?

Ich stecke natürlich manchmal immer noch in Mühlen. Aber ich lasse mich davon heute weniger in Stress versetzen, weil ich nicht zuletzt durch den Film eben viel darüber nachgedacht habe. Dieses bewusste Erkennen von Stressfaktoren oder Zeitfressern, das hilft schon viel. Ich bin jetzt aber nicht der grosse Ratgeber, das wird jetzt immer von mir erwartet. Aber meist ist die Lösung ja trivialer als man denkt, kleine Dinge im Alltag: Zum Beispiel, dass ich das Handy mal zuhause liegen lasse, wenn ich mit den Kindern rausgehe. Oder übers Wochenende lang wirklich keine Mails checke.

Auch alte Sprüche wie «Gut Ding will Weile haben» haben doch so viel Wahres.

Was mir aber wichtig ist: Die Beschleunigung unserer Zeit hat viel mit der gesellschaftlichen Entwicklung zu tun, mit der Digitalisierung und mit dem Wirtschaftssystem, in dem wir leben. Da muss sich die Gesellschaft ändern. «Speed» sehe ich deshalb keineswegs als netten Ratgeberfilm, sondern auch als gesellschafts- und kapitalismuskritischen Film.

Danke, Herr Opitz, dass Sie sich Zeit genommen haben. Was machen Sie jetzt gleich, wenn Sie aufhängen?

Ich spreche mit meiner Mitarbeiterin darüber, was sie heute Nachmittag erledigen soll. Denn ich muss mich sputen, in einer halben Stunde muss ich mein Kind in der KITA abgeholt haben.

Danke, Tschüss!

«DOK»-Redaktorin Christa Ulli über ihr Interview mit Florian Opitz:


Ich habe das Gespräch im Anschluss transkribiert, einen längeren
Anruf wegen eines anderen Films entgegengenommen und bin um 14:30 Uhr in
die Kantine gegangen, um ein Sandwich zu holen. Dort traf ich einen
Kollegen von «DOK», der einen Film zum Thema Schlaflosigkeit macht und
einen weiteren ehemaligen Redaktionskollegen, der spontan von einem Buch
von Arianna Huffington, der Gründerin der Huffington Post erzählte, das sie nach ihrem Burnout verfasst hat.

Zum Filmautor

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Zum Filmautor

Der deutsche Dokumentarfilmer Florian Opitz gewann für den Film «Akte D – Die Macht der Stromkonzerne» den Grimme-Preis 2015. Er lebt mit seiner Familie in Köln.

«DOK» am Mittwoch

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«DOK» am Mittwoch

«Speed – auf der Suche nach der verlorenen Zeit», Mittwoch, 13. Mai, 22:55 Uhr, SRF1.

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