Tag 1: Landung in Dubai, der heissen Retortenstadt
Wir sehen ein paar Strassen und Wolkenkratzer entlang der Route zum Hafen.
Alle sprechen deutsch: von Mohammed, der uns mit dem «Mein Schiff»-Transferbus abholt, bis zu dem asiatischen, herzlichen Mann, der uns eincheckt. Am Hafen Port Rashid: das Check-in. Wir treffen – hier bestätigt sich mein erstes von sehr vielen Klischees – zumeist ältere, deutschsprechende Menschen in buntgemusterten Shirts, die müde auf ihre Kabine warten: Das sind also die Passagiere.
Ausweis abgeben, Kreditkarte angeben, man kann «all inclusive» konsumieren.
Maniküre, Schlagernacht, Rollmops am Büffet
Wir liegen den ganzen Tag im Hafen. Alle dicht aufeinander, von der Lobby bis zum Pooldeck – man ist an eine Robbenkolonie erinnert. Es gibt massig Beschäftigung: Ich könnte in die Whiskey-Verkostung, zum Sushi-Plausch oder Kleider zum Dutyfreepreis kaufen. Ich fühle mich wie im Shoppi Tivoli, und vergesse, dass ich am Meer bin.
Es beschleicht mich der «Hawaii-Hempli-Blues»: Ich habe mich ertappt, dass ich einige Vorurteile habe gegenüber dieser Art von Tourismus, die ich überhaupt nicht kenne. Die aber zum ungebrochen wachsenden Teil der Branche gehört.
Gegessen wir im Restaurant Sylt, im Moment stehen nicht allzu viele Menschen vor dem «Hackbraten» und den Bierzapfhahnen – ich vermute, dass hier aber das Wort «Schlange stehen» noch eine neue Dimension erreichen wird in meinem Wortschatz. Wir sind 3‘500 Menschen an Bord, verteilt auf 15 Decks, das 13. fehlt.
Man will Zeus nicht herausfordern. Sondern dreimal hupen morgen, beim Ablegen, und sich «Farewell» wünschen.
Ich bin müde. Ist es das Meer, das schwankt, oder liegt es am psychedelischen Teppichmuster?
Alle schlafen am Pool. Ich habe einen ganzen Tag im Ausland verbracht und nicht ein einziges Wort in der Landessprache gehört. Es ist wie Ferien in Bayern. Aber halt mit etwas mehr Salzgehalt in der Luft. Apropos Gehalt: Dann treffe ich endlich den wichtigsten Mann: Captain Tom Roth. Ein starker Mann, Schweizer Pass. Einparkieren mit einem Auto sei schwieriger als mit diesem 70‘000 PS-Schiff. Wie bitte? Nach 3-4 Jahren hätte er ein Fingerspitzengefühl für diesen Koloss entwickelt, nun sei es gerade wegen der Grösse und der damit verbundenen Trägheit einfacher zu steuern.
Arbeiten an Bord – ein Knochenjob
Die Crew: was für ein Job! Alle dauer-freundlich, auf den supervielen Kilometern am Ackern (was für Schuhe tragen sie und wie viele Blasen an den Fersen?), bedanken sich auf Deutsch. Wie ist es, wenn man hier 4, vielleicht sogar 9 Monate am Stück arbeitet? Die Pressedame erwartet, dass wir uns an die Privatsphäre der Crew so wenig herantasten wie möglich – sie haben schlicht zu wenig davon, auf dem Schiff. Die Tage im Hafen sind für die Crew besonders streng: Passagiere strömen rein und raus, Waren be- und entladen, das Schiff wird startklar gemacht, alle schwirren umher.
Endlich, 15 Uhr: Ich kann in die Kabine. Kein Fenster, aber eine hübsche Koje und Klimaanlage (ich möchte so gerne ein Fenster öffnen und Meeresluft riechen).
Das WC erinnert mich an eine Anlage im «Haus der Zukunft» der Empa – es saugt vakuummässig alles blitzschnell ab beim Spülen. Ob das ein Vorzeichen sein will? Naja, Kreuzfahrtschiffe sind rückständig, was Umweltschutz anbelangt, aber machen – wie ich in meinen Dossiers lese – viele Schritte in eine grünere Zukunft. Wie das hier wohl funktioniert?
Das werden wir uns morgen anschauen, wenn wir Zutritt zum Maschinenraum haben.
PS: Es ist erst 2:29 Uhr morgens, alle versprachen mir einen tollen Schlaf wegen der Wiegefunktion eines Schiffs. Nun gut, wir stechen ja erst morgen in See - und liegen heute im Hafen von Dubai.
W-LAN funktioniert. 4G. Aber auf hoher See?
Tag 2: Wir legen los
«Tolle Stadt», sagt eine Frau, die vom Sonnendeck auf den Parkplatz von Dubai schaut.
Wir legen heute ab. DAS erste Mal, dass ich Seefahrtsluft wahrnehme. Das Gefühl vom Aufbrechen ist toll: Fahrtwind in den Haaren, den Hafen verlassen. Was für ein Moment, als sich der Koloss bewegt, und aus der Stadt fährt. Wie muss das sein, wenn man dieses Riesending steuert?
Captain Tom ist von Kopf bis Fuss in Weiss gekleidet und erklärt, dass das «Buebespielzeug» sei. Ich würde da auch nicht nein sagen. Obwohl…?
Apropos Spass: Alkohol gibt es ab 10 Uhr, alle machen sich bereit und breit auf den Liegen. Es wird mit «Tüechli» reserviert. Der Tag ist verplant mit Bingo, Makeup-Kurs und Aquafit. Es läuft.
Sicherheitsinstruktion: Wir schauen einen Film, wie man sich wo besammelt. Grösste Gefahr an Bord: Feuer.
Grösste Frage: Würde das klappen, wenn alle durch die schmalen Gänge rennen? Gleichzeitig? 7 kurze Töne plus 1 langer Ton würden den Ernstfall ankündigen.
Zum ersten Mal schwanke ich – an Bord. Der Wellengang macht es etwas lustiger, durch die langen Pfade im Schiff zu gehen (ich messe über 10‘000 Schritte pro Tag, auf meinem Smartphone-App, aber wir drehen ja auch 14 Stunden am Tag, überall an Bord).
John Wayne-Schritt lohnt sich (es wird dir weniger schlecht). Im Bett schaukelt es auch. Mal schauen, wie die Nacht wird.
Immer wieder suche ich die frische Luft, die «Natur» – beobachte Lichter am Horizont. Das muss Oman sein - weiss ich dank der Swisscom-Roaming-SMS. Leider sehe ich das Land nicht.
Tag 3: Anlegen in Khor Fakkan
5.30 Uhr, Drehbeginn auf Deck: Die Stimmung ist 360 Grad anders – komplett ruhig. Nur wenige Arbeiter schrubben den Boden. Wir laufen in den Hafen ein.
Dieselwolken ziehen übers Deck, ich versuche, beim Yoga nicht allzu tief einzuatmen :-)
Später darf ich unter Deck in die Wäscherei: 17 Chinesen stemmen hier 5'200 kg Wäsche pro Tag. Alle sind sehr jung, teils ohne Englischkenntnisse. Herr Yubin, «Master of Laundry», führt mich in ein, ins flinke Geschäft.
5200 kg Wäsche
Er sagt, er habe die halbe Welt gesehen. Aber seinen Sohn schon lange nicht mehr. Nach 20 Jahren Kreuzfahrt, und Arbeitswochen ohne Freitage, aber mit 10h Wäscherei, wünscht er sich nur noch eins: wiedermal kochen zu können für seinen Sohn und die Frau. Sein Verdienst: branchenübliche 600 Dollar im Monat. Er schickt das Geld nach Hause.
Mein Respekt – vor allem für das asiatische Personal – ist riesig. Fast 10 Monate verbringen sie hier an Bord, verdienen weniger als alle anderen, machen die härtesten Jobs. Und sind alle freundlich, den ganzen Tag.
Von der Wäscherei zur Kellnerei
Vor dem grossen Rudelandrang auf die Restaurants kommt die grosse Herausforderung; ich decke einen 5-Gänger-Tisch für 8 Personen im Restaurant ein.
Alena, meine Ausbildnerin, hat Geduld. Ich habe keine Ahnung. «Mann liegt über Frau» ist die Löffeli-Anordnung für die Dessert-Bestecke, zum Beispiel. Was ich nicht alles lerne hier.
Ich treffe abends zwei Schweizer Paare aus Langenthal an der Bar. Sie sagen, es sei unbeschreiblich, wenn man bei offener Balkontüre mit Meeresrauschen schläft, und der Mond scheint ins Zimmer. Und das Bett schaukelt. Nun, ich habe nicht mal ein Fenster. Aber geschlafen wird hier auf See tatsächlich wie in der Wiege.
Dann: kurz vor Mitternacht das Highlight des Tages, vielleicht sogar eines meines Lebens. Der Ozean ist voll von grünen, leuchtenden Planktonwellen. Das ist der Grund, weshalb man aufs Meer zieht, vielleicht: weil man der Natur so nah ist. Dieses Spektakel verpassen aber 99 Prozent: sie sitzen drinnen im Restaurant Sylt oder im Steakhouse und bestellen etwas «original deutsches».
Tag 4: Muskat ohne Nuss
8.00 Uhr, in den Gängen wimmelt es von huttragenden, Fotokamera-behängten Passagieren. Sie strömen aus den Schiffs-Gates, und werden am Hafen in Busse verfrachtet. Maskat hat 30‘000 Einwohner, jeder 10. wird heute ein Tourist sein von unserem Schiff. An Bord dasselbe Ferien-Rösslispiel wie jeden Tag: Essen, Sonnenbaden, oder Beschäftigungen wie Malen, Sushikurs etc.
Ich habe etwas Schiffskoller. Ich bin so nah am Meer und vermisse es trotzdem. Ich bin im Ausland, und trotzdem erlebe ich nichts, was ich sonst auf Reisen erlebe: fremde Gerüche, fremdes Essen, andere Menschen.
Um 18 Uhr höre ich den Muezzin und fühle mich wenigstens wie bitzli in den Ferien.
Der Kapitän zeigt mir die Verbrennungsanlagen für den Abfall und den «Scrubber». Also das Teil, welches die Abgase des Schiffs filtert. Tom Roth meint: Unser Schiff ist umweltfreundlicher als manch ein Robinson-Club-Hotel an Land.
Fun-fact: er weist mich auf meine schwarzen dünnen Socken in den weissen Schuhen hin - das würde ihm als Captain nicht passieren :-) Er hat massgeschneiderte, weisse Kapitänsschuhe aus Dubai.
Zudem lerne ich vom Captain: Man spricht nie von Stockwerken, sondern von Decks. Und: klemmt man sich die Finger in einer Schiffstüre ein, sind sie mindestens gebrochen. (Massiv, weil Feuerschutz – sehr massiv also)
Heute ist Poolparty, ich bewundere das Personal, welches rund um die Uhr zu arbeiten scheint. Und immer gute Laune verbreiten mag.
Ich muss später das Deck schrubben. Ahoi!
Tag 5: Schrubben und Heiraten
Um 00:00 ist Schichtbeginn auf Deck mit der Putzequipe. Ein junger Mann aus Honduras und sechs Indonesier nehmen mich ins Team auf. Es wird der beste Moment – vorläufig – auf diesem Schiff. Mit Schlauch und Schrubber stehen wir unter dem Sternenhimmel, es wird gelacht und gesungen – sie sind streng genau bei der Arbeit und herzlich als Arbeitskollegen. Knochenarbeit, was die Männer machen: Von Mitternacht bis 7 Uhr morgens wird geputzt, um 3 Uhr gibt‘s Kafi.
«Mariiiii!» Das heisst «los geht’s» auf indonesisch – volle Kraft voraus, ich habe richtig gute Stimmung getankt beim wohl «hardest working team» auf Deck. Wir singen 90er-Jahre-Hits und putzen. Irgendwann in der Nacht falle ich totkaputt in mein Bett, die Jungs schrubben weiter.
Guten Morgen zum Zweiten: Ich muss heute erst später anfangen zu drehen (am Mittag) und kann deshalb etwas Sport machen. Im Gym renne ich mit Aussicht auf nichts anderes als das Meer bis zum Horizont. Ich kann Dampf ablassen und freue mich, dass ich etwas Bewegungsfreiheit habe auf dem Schiff, das mir langsam etwas eng wird.
Eine Trauung auf hoher See
Um 13 Uhr wird geheiratet: Kapitän Tom traut ein junges deutsches Paar. Es wird Silbermond gesungen, geweint und angestossen. Während der Traurede klingelt das Telefon des Captains: Er ist wie immer überall gefragt auf dem Schiff.
Später treffe ich zwei Appenzeller, die mir sagen: entweder man liebt Kreuzfahrten. Oder man will nie wieder.
Am Abend dann noch das Interview mit Kapitän Tom in der Diamant-Bar am Heck. Er erzählt mir, wie gross die Verantwortung sei, wenn du die Streifen auf deinen Schultern trägst. Er haftet für alles an Bord. Wir trinken Kaffee, Wein im Dienst kommt schliesslich nicht in Frage.
Er ist nonstop auf Zack – er freut sich auf den Heimflug.
Tag 6: Alles ist blitzblank
07:00 Uhr, Meeting mit der Gouvernante Kristina Jelic. Sie ist Herrin über die Putzequipe von Deck 8. Sie hat 20-30 Leute unter sich, die innerhalb von 20 Minuten jede Kabine blitzblank reinigen.
Kristina streicht mit dem Finger über Türschilder (Staub?), hängt permanent am Telefon («Können sie den Tresor bei uns öffnen...», will ein junges Paar wissen) und fragt beim Personal wie die Laune ist («all good?»). Sie ist eine harte, aber herzliche Chefin. Streng in der Hygiene, aber eine Art Mutter (genannt «Miss Boss») für ihre philippinischen «kids».
Sie zeigt mir eine doppelstöckige Kabine, die «Himmel und Meer»-Suite, mit 6‘000 Euro pro Woche die teuerste an Bord. Kristina freut sich persönlich darauf, dass sie kommende Woche mit ihrer Mutter die Kabine teilen darf: Sie besucht sie und zahlt 20 Euro pro Nacht, und bringt viel Feines aus Serbien mit. Endlich ein Wiedersehen.
Auf dem Gang sehen wir ein Crewmitglied vor einer Kabine sitzen. Auf meine Nachfrage erfahre ich, dass er jemanden «bewacht», der eingesperrt werden musste – «hier hat sich ein Paar gestern Nacht geprügelt», sagt er uns, «das kommt jede Woche vor».
Ankunft in Abu Dhabi
Nach meinem Morgen mit dem Reinigungsteam muss ich von Bord. In Abu Dhabi gibt’s nicht nur das schnellste Internet (deshalb gehen auch viele von der Crew von Bord, um kurz mit der Familie zu telefonieren), sondern auch eine strenge Passkontrolle. Jeder muss kurz das Schiff verlassen und beim einheimischen Zoll an der Pier einen Stempel in den Pass machen lassen. Danach geht’s für die meisten in die Stadt, für mich zurück an die Arbeit, an Bord.
Nach meinem Dienst bei der Reinigung werde ich noch netter vom ganzen Personal gegrüsst, man kennt mich mittlerweile als «die, die überall hinter den Kulissen ist». Und fragt herzlich: «Nein?! Arbeitest du nicht mehr bei uns?»
In meiner Drehpause gehe ich eine halbe Stunde ins Gym, wo man auch immer wieder Kommandoleute von der Brücke trifft. Es ist der beste Ort, um abzuschalten: aufs Meer schauen (die Fensterfront ist riesig) und losrennen (und fliegende Fische beobachten).
Beim Coiffeur erfährt man alles
Nachmittags habe ich einen Termin: Richard Nitzsche, der Friseur von Deck 12, erwartet mich. Der junge Dresdner hat vor 11 Wochen hier an Bord angeheuert und plant einen YouTube-Kanal für die daheimgebliebenen Stammgäste. Die bewundern ihn alle für seinen Mut, ein Leben in Dresden hinter sich zu lassen und in die weite Welt zu steuern.
Es hat ihn tatsächlich Überwindung gekostet, seine Wohnung zu kündigen mitsamt Job, und hier in eine Doppelkabine zu ziehen, von der aus er «schlafend» alle Türen öffnen kann – sie ist nicht viel grösser als er selbst.
Das WC wird geteilt, auf dem Gang, Dusche auch.
Er fühlt sich wohl und kennt alle Geheimnisse an Bord. «Letzthin sind zwei mit den Liegestühlen auf einander los – wegen der Badetuchreservation…». Auch hier höre ich, wie an Bord gestritten, geheiratet und geliebt wird. Wie in einem Dorf halt.
Später geht’s auf Spiralgang mit dem Kapitän. Er sagt auf jedem Deck Grüezi und Hallo. Nur die Ansagen macht er nicht so gern. Trotzdem ertönt es jeweils fröhlich aus den Lautsprechern auf allen Decks: «Hallo. Guten – Abend.»
Tag 7: Samstag – Aye aye Captain, zurück in den Hafen!
Wir legen in Dubai an, ich bin beim Anlegemanöver auf der Brücke. Hochkonzentrierte Stimmung wie in einem Operationssaal.
Das lauteste Geräusch neben den Befehlen ist die Klimaanlage. Es ist mucksmäuschenstill. Fällt der Pressedame das Handy runter, schaut sie die ganze Besatzung erschreckt an.
Einer der spannendsten Momente: Der einheimische Lotse kommt per Kleinschiff an Deck (es fährt an die Seite des Schiffs, damit er rüber klettern kann, wie in James-Bond-Filmen). Der Lotse berät die Brückencrew bei der Einfahrt.
Wir kommen mit einer zentimeterpräzisen Punktlandung im Hafen an: Dubai, Dreh und Angelpunkt, bei dem Schiffe anlegen und Flugzeuge den Himmel verdecken.
Meine letzte Nacht an Bord.
Tag 8: Abreise
Es schaukelt noch immer, obwohl wir angelegt haben. Heute ist der letzte Tag an Bord, bzw. die letzten Stunden. Um 9 Uhr wird die Kabine freigegeben, das Putzpersonal rückt an und hat wenige Stunden Zeit, um das Schiff startklar zu machen.
2‘500 neue Passagiere reisen an, sitzen in den Lounges, und hören den Sicherheitsinstruktionen zu. Es geht wieder von vorne los.
Ich gehe mit Freude wieder zurück ans Festland.