Rund 25 Mal pro Sekunde ─ so oft schlägt die Zunge hin und her, wenn wir ein sogenanntes «gerolltes R» aussprechen. Das ist so schnell, dass das nicht mit flinken Muskeln zu schaffen ist. Vielmehr braucht's dafür Physik und Geschick.
Mit Luftdruck statt Muskelkraft
Das «R» entsteht, wenn wir die Zungenspitze hinter die oberen Schneidezähne führen und so den Weg für die Luft versperren. Es entsteht ein Überdruck, der sich auf einen Schlag löst. Dadurch entsteht wiederum ein Sog, der die Zunge nach oben saugt. Und der Zyklus kann von vorne beginnen (vgl. Video). Weil das so schnell geschieht, entsteht das typische «R»-Geräusch.
Die Physik macht's
Ausschlaggebend ist das Strömungsgesetz nach Bernoulli . Es beschreibt, wie unterschiedliche Fliessgeschwindigkeiten für Druckunterschiede sorgen. Dieses Wechselspiel von Über- und Unterdruck bewirkt, dass eine Fahne im Wind flattert oder eben die Zungenspitze beim «R». Das gleiche Gesetz ist übrigens auch dafür verantwortlich, dass Flugzeuge abheben können.
Der Selbsttest
Dass wirklich der Luftstrom die Zunge bewegt und nicht die Muskeln, lässt sich ganz leicht überprüfen, indem man ein möglichst langgezogenes «R» zu sprechen versucht: Sobald einem die Puste ausgeht, hört auch das «R» auf.
Ist gerollt wirklich gerollt?
Das oben beschriebene «R» mit flatternder Zungenspitze als «gerolltes R» zu bezeichnen, ist eigentlich nicht ganz richtig. Die Zunge wird nur bei jenem «R» nach oben gerollt, das für den indischen Akzent typisch ist. In der Fachsprache: ein retroflexes «R». Das bei uns verbreitete «R» mit der Zungenspitze heisst «apikales R».
Daneben gibt es weitere R-Varianten:
- Das «Halszäpfchen-R»: Hier flattert statt der Zungenspitze das Halszäpfchen. Diese Variante ist besonders im Französischen verbreitet – mustergültig vorgemacht von Edith Piaf in «Non, je ne regrette rien» . Auch dieses «R» wird manchmal als «gerolltes R» bezeichnet.
- Das vokalisierte «R»: Statt einem trillernden Konsonanten wird ein Vokal ähnlich einem «A» gesprochen. Diese Variante kommt am Wortanfang nicht vor. Im Hochdeutschen ist sie weit verbreitet: Statt «Lehrer» sagt man «Lehra». Auch Ostschweizer Dialekte greifen darauf zurück: der «Thurgau» wird als «Thuagau» ausgesprochen.
- Das «R» als Reibelaut (in der Fachsprache: ein Frikativ): Dabei bildet die Zunge eine Verengung am Gaumen, durch welche die Luft mit einem reibenden Geräusch durchgepresst wird – ähnlich wie beim «ch» in «Chuchichäschtli». Diese Variante ist zum Beispiel in Basler Dialekten verbreitet.
Bemerkenswert: Für alle diese Laute verwenden wir den Buchstaben «R», obwohl sie ganz unterschiedlich gebildet werden und klingen. Für das «R» existieren so viele Varianten wie für keinen anderen Konsonanten. Sprachwissenschaftlich gesehen sind alle gleichwertig, doch je nach Dialekt wird die eine oder andere Variante bevorzugt.