Heinz Graf hat keinen alltäglichen Arbeitsweg. Er führt vorbei an einem Airbus A380, über Start- und Landebahnen hin zum «schönsten Arbeitsplatz auf der Alpennordseite», wie er sagt. Graf arbeitet auf dem Flughafen Zürich. Er ist Aeronautical Meteorological Observer (AMO), ein sogenannter Flugwetterbeobachter.
Bei der Beobachtungsstation in Oberglatt am Rand der Piste 16 angekommen, ist kein einziger Flieger zu sehen. Nicht weil keiner da wäre, sondern weil der Flughafen in einer dicken, grauen Nebelsuppe steckt – um diese Jahreszeit keine Seltenheit.
Der graue Monat
Laut Statistik von Meteoschweiz ist der November die nebelreichste Zeit auf dem Flughafen. Während neun Tagen durchschnittlich liegt in diesem Monat Nebel über den Pisten. Meteorologen definieren die graue Trübung als Nebel, wenn die Sichtweite weniger als einen Kilometer beträgt.
Wenn die Sicht so stark eingeschränkt wird, ist das kritisch für den Flugverkehr. Deshalb wird Nebel auf dem Flughafen möglichst präzise erfasst und möglichst genau prognostiziert, erklärt Graf, während er die Treppe zur Beobachtungsstation hinaufsteigt.
Monitore mit Satellitendaten
Die Station wirkt auf den ersten Blick wie die Kommandozentrale eines Raumschiffs in einem Science-Fiction-Film. Eine riesige Fensterfront gibt die Sicht auf Piste 14 frei – oder besser: würde sie freigeben, wäre da nicht die Nebelwand.
Im Raum zeigen 16 Bildschirme hoch aufgelöste Satellitenbilder und unzählige meteorologische Messwerte, zum Beispiel von den Transmissometern an den Pisten (siehe Box). Graf macht sich daran, einige davon zu checken.
Hoffen auf die Bise
Bei Nebel, erklärt er, achtet er verstärkt auf die Winddaten. Komme beispielsweise eine Bise auf, kann sie die grauen Schleier von den Pisten wehen. «Wenn der Wind den Nebel nicht auflösen kann, bleibt nichts anderes übrig, als zu warten, bis die Sonneneinstrahlung stark genug ist.» Auch dazu bekommt er permanent Messwerte auf seinen Schirm.
Doch weil Nebel sich ständig verändert, ist er mit technischen Instrumenten nur schwer vorherzusagen. Auf dem Flughafen sind der Tower, die Flugkapitäne und Fluggesellschaften darauf angewiesen, die kurzfristigen und lokalen Entwicklungen auf den einzelnen Pisten zu kennen. Für diese Prognosen braucht es den Flugwetterbeobachter.
Wichtigstes Arbeitsgerät: Sonnenbrille
Eine schrille Sirene ertönt. Graf eilt auf das Dach der Station. Während der neunstündigen Schicht macht er das jede halbe Stunde: Er checkt die Wetterverhältnisse mit eigenen Augen. Oben angekommen, dringt ohrenbetäubender Fluglärm aus dem stockdicken Nebel.
Unbeeindruckt setzt sich der Beobachter sein wichtigstes Arbeitsutensil auf die Nase: «Die Polizei hat eine Pistole, wir unsere Sonnenbrille.» Der Schutz vor der schädlichen UV-Strahlung stört seine Sicht auf den Nebel nicht.
Nebel ist unberechenbar
Eine Hand vor die Sonne haltend, schaut er gen Himmel. Erster Check: Ist Himmel sichtbar oder nicht? Nein. Zweiter Check: Sind die Nebellampen in definierten Entfernungen sichtbar? Die 200-Meter-Lampe ja, die 400-er nur knapp, die 600-er ist unsichtbar. Mit diesem Test ermittelt er die momentane Sichtweite.
Wieder unten in der Zentrale erklärt Graf: «Nebel zu prognostizieren, ist für einen Berufsneuling schwierig. Das Knifflige daran ist zu ahnen, wann er beginnt, wann er sich auflöst. Und wann ich melden sollte, dass die Sicht besser oder schlechter wird.» Nebst technischen Daten und seinen Augen brauche ein guter Flugwetterbeobachter das Vertrauen in sein Bauchgefühl, wenn er verlässlich prognostizieren will.
Halbstündige Wettermeldung
Graf kombiniert die technischen Daten mit den selbst erhobenen Werten nun zu einer Flugwettermeldung, genannt Metar, Abkürzung für «Meteorological aerodrome report». Während seiner Schicht verfasst er jede halbe Stunde einen solchen Kurzbericht.
Er zeigt die momentane Wetterlage auf dem Flughafengelände und der näheren Umgebung. Und enthält auch eine kurzfristige Prognose für die nächsten zwei Stunden.
Das Metar geht weltweit an alle Flughäfen. Zusätzlich wird ein sogenannter «Local Met Report» erstellt, den der Flughafen intern benutzt. Er enthält sehr präzise Angaben zum Wetter und zur Bewölkung auf den einzelnen Pisten.
Nebel = Verspätungen
All diese Berichte können Folgen haben. Wenn die Sicht schlechter wird, landen weniger Flugzeuge. Folglich müssen Piloten Warteschlaufen fliegen und es kommt zu Verspätungen.
Als Graf von den Piloten spricht, erinnert er sich mit einem Mal an früher: «Als ich im Jahr 1986 hier anfing», erzählt er, «schüttelten mir die Flugkapitäne noch persönlich die Hand, wenn ich sie sich vor dem Flug über das Wetter informierte.»
Mehr Messwerte - weniger Menschen?
Doch die Zeiten ändern sich – und der technische Fortschritt macht die Zusammenarbeit auch anonymer. Heute werden weit mehr Daten über das Wetter gesammelt als damals.
Im Verlauf des Jahres 2016 wird auf dem Flughafen Genf sogar ein Auto-Metar-System getestet, das automatisch Wettermeldungen generiert. Allerdings wird der Pilotversuch nur nachts laufen, während der flugfreien Phase.
Wird er einst durch Sensoren und Computer ersetzt? Davor hat Heinz Graf keine Angst: «Die Technik ist im Moment zu wenig präzise und zuverlässig, um eine der Situation entsprechende, automatische Wettermeldung generieren zu können. Es braucht die Augenbeobachtung.» Der Routinier ist sich sicher, dass es noch Jahre dauern wird, ehe die Technik seinen Job übernehmen wird. Und bis dahin starten und landen noch einige Vögel vor «seiner» Piste 16.