Dass Pet-Flaschen und klares Wasser ihn sein Leben lang beschäftigen würden, hätte der Bauingenieur Martin Wegelin, 65, vor 20 Jahren selbst nicht gedacht. Für seinen Einsatz für die solare Wasserdesinfektion verlieh ihm die Brandenberger-Stiftung nun ihren hochdotierten Preis – und auch die 200‘000 Franken werden in das Projekt fliessen. Abzüglich eines Viertels, das er der Stiftung «Terre des Femmes» spendete; als symbolischen Dank an die Frauen in zahlreichen Ländern, ohne deren Hilfe er weniger Erfolg gehabt hätte.
Vom Wissenschaftler zum Wasser-Aktivisten: Die ungewöhnliche Karrierewende nahm ihren Anfang 1992. Damals testete Wegelin an der Eawag in Dübendorf mit Bakteriologen und Virologen die neue Idee, Krankheitserreger in Wasser mit Sonnenlicht abzutöten. Als die Wirkung mit simplen Pet-Flaschen nachgewiesen war, entschloss er sich, sie dort zu verbreiten, wo sie gebraucht wurde: in Ländern wie Bolivien, Peru, Simbabwe und auch in Tansania, wo er zuvor drei Jahre mit seiner Familie gelebt hatte.
Wie man eine Idee vor Ort verkauft
Ein Selbstläufer war das Sodis-Verfahren (Solar Water Disinfection) wahrhaftig nicht, schon wegen festgefahrener Denkmuster: «Wenn ein Bauer in Kolumbien beim Anblick eines toten Tieres auf der Strasse erschrickt, dann glaubt er tatsächlich ‹Morgen bekomme ich davon Durchfall›», erzählt Wegelin, «nicht alle Menschen haben ein naturwissenschaftliches Verständnis wie wir.» Und der seltsame Schweizer und seine Mitstreiter, die da mit Pet-Flaschen hantierten, wurden von der Landbevölkerung nicht selten für Spinner gehalten – Aufklärungsarbeit war angesagt.
«Man kann aber nicht ein Dorf zusammentrommeln, einen Vortrag halten und dann erwarten, dass nach einer Woche überall Sodis-Flaschen im Einsatz sind», sagt Wegelin. Stattdessen vermittelten seine Mitarbeiter vor Ort die Tatsache, dass Sonnenlicht Durchfallbakterien abtötet, nicht mit Stichworten wie UV-A-Anteil oder Escherichia coli , sondern bildhaft. Zum Beispiel mit farbenfrohen Aufführungen, in denen menschliche Pet-Flaschen auftraten: albern für westliche Theaterfreunde, doch anschaulich für Schulkinder und Bauern im Hochland von Peru.
Richtige Personen direkt ansprechen
Grössere Erfolge stellten sich allerdings erst ein, als Sozialwissenschaftler ihr Knowhow über die Lebensweise in Entwicklungsländern beisteuerten. Nun wandten sich die Sodis-Aktivisten direkt an Zielgruppen – vor allem die Frauen, die in Familien für das Trinkwasser zuständig sind. Im Nachhinein, findet Wegelin, war es ein Fehler, dass erst ab 2005 intensiver mit Sozialkundlern kooperiert wurde.
Eine andere «Jugendsünde», wie er das heute nennt, war ein Plakat, das mit den Worten «Trinkwasseraufbereitung für die Armen» für Sodis warb – ein Rohrkrepierer, denn erstens möchten auch Menschen, die kaum etwas besitzen, nicht als arm gelten. Und zweitens war es falsch, so der Wasserfachmann, «denn in solchen Gegenden haben wirklich alle Menschen ein Trinkwasser-Problem».
So wurde aus dem Bündner Techniker mit den Jahren ein Vermarkter mit einer effizienten und kostengünstigen Strategie. Statt Geld mit TV-Kampagnen zu vergeuden, verteilte man «Fleisskärtchen» im A4-Format, die Nutzer stolz an ihrer Haustür befestigten: zugleich eine «Erinnerungshilfe», wie Wegelin das nennt, für die Nachbarn. Und statt vor Ort neue Strukturen aufzubauen, verankerte er die das Sodis-Projekt in staatlichen Gesundheitsprogrammen, wie in Ecuador, Laos oder Kenia.
Neue Ideen für weitere Verbreitung
Heute steht das Wissen über Sodis mehr als fünf Millionen Menschen in fast 30 Nationen zur Verfügung. Wie viele nutzen es wirklich? «Realistisch sind es vielleicht zwei Millionen, die es wirklich regelmässig anwenden», sagt Wegelin. Obwohl der Nutzen auch epidemologisch getestet wurde: «In Regionen in Indien und Bolivien hat das System die Zahl der Durchfallerkrankungen zwischen 40 und 60 Prozent gesenkt», sagt er, «das ist schon ein wesentlicher Beitrag, gerade für Kleinkinder, denen solche Krankheiten ja in der körperlichen und geistigen Entwicklung ernsthaft schaden können.»
Obwohl schon pensioniert, macht er weiter mit. Ehemalige Kollegen an der Eawag arbeiten bereits an einer Pet-Flasche für gehobene Ansprüche: schöner gestaltet und innen mit einer glänzenden Folie ausgestattet, die das Sonnenlicht reflektiert. «Also ein bisschen ein Statussymbol, quasi der Mercedes unter den Sodis-Flaschen», erklärt Wegelin mit einem Augenzwinkern, «das könnte bei der Verbreitung in der Mittelschicht durchaus helfen.»
Und obendrein ein Handicap beheben, das dem Desinfektions-System seit Anbeginn anhaftet – obwohl es zugleich sein entscheidender Vorteil ist. Einen Satz, so erzählt der Trinkwasser-Aktivist, höre man leider überall und immer wieder: «Wenn etwas nichts kostet, dann ist es auch nichts wert.»