Zum Inhalt springen

Einstein Online Der Wald erobert die Schweiz

Von wegen Waldsterben: Zumindest in der Schweiz geht es dem Wald gut – und er wächst. So sehr sogar, dass sich Fachleute Sorgen machen. Die Politik hat nun reagiert und das strenge Schweizer Waldgesetz gelockert.

Die Wälder schwinden rapide, jede Minute werden weltweit 35 Fussballfelder Wald abgeholzt – vor allem in Südamerika, Afrika, Asien. Doch es gibt auch Regionen, in denen der Wald wächst. In Europa hat er sich laut einer UNO-Studie in den vergangenen Jahren um rund 17 Millionen Hektar ausgedehnt. Das ist ungefähr die doppelte Fläche Österreichs. Ganz vorne mit dabei: die Schweiz. Hier ist der Wald zwischen 1985 und 2006 um etwa 8 Prozent gewachsen. Er bedeckt heute ein Drittel der Landesfläche.

Wo Alpwirtschaft war, ist heute Wald

Vor allem in der Südschweiz und in den Alpen macht er sich breit. Im Tessin sind mittlerweile ganze Dörfer vom Wald umzingelt. «Der Wald kommt dort, wo sich die Landwirtschaft zurückgezogen hat», sagt Forstingenieur Urs-Beat Brändli gegenüber «Einstein». Wo Wald wächst gehen charakteristische Kulturlandschaften verloren, Flächen mit hoher Biodiversität wie Magerwiesen verschwinden. Zuerst erobern Büsche und Sträucher die brachliegenden Felder, Wiesen, Weiden, dann der Wald. Doch der durfte bisher nicht oder nur unter strengen Auflagen gerodet werden. So schreibt es das Schweizer Waldgesetz vor.

Flexibleres Waldgesetz

Nun hat der Bund reagiert und das strikte Schweizer Waldgesetz gelockert. Die revidierte Fassung wird voraussichtlich im Frühling 2013 in Kraft treten. Zwei Neuerungen sollen das Waldwachstums begrenzen: In Regionen mit starker Waldzunahme dürfen die Kantone heute bestehende Waldgrenzen als fix festlegen. Wald, der künftig jenseits dieser Grenze wächst, darf gerodet werden. Zudem heisst es neu: Wer Wald rodet, muss nicht mehr zwingend andernorts eine Ersatzaufforstung sicherstellen. Stattdessen sind andere Massnahmen zugunsten des Natur- und Landschaftsschutzes gestattet. Zum Beispiel neue Hecken pflanzen, welche Waldareale miteinander verbinden, oder bestehende Waldränder aufwerten. In Ausnahmefällen darf auf den Rodungsersatz sogar ganz verzichtet werden.

Naturschützer sind skeptisch

Naturschützer sind nicht glücklich über den Vorstoss. Sie fordern landwirtschaftliche Anreize statt eines flexibleren Waldgesetzes und wollen Bauern durch Subventionen dazu motivieren, wertvolle Lebensräume beispielsweise durch Beweidung zu erhalten.

Was das revidierte Waldgesetz zur Lösung beitragen kann, ist auch bei Politikern umstritten. Während im Tessin der Wald wächst, ist er im Mittelland weiterhin unter hohem Druck, vor allem durch die wachsenden Wohnsiedlungen. Hoffnungen werden deshalb vermehrt in eine umfassende Raumplanungspolitik gesetzt.

Der Beitrag zum Thema: «Einstein» vom 6. September 2012

Meistgelesene Artikel