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Einstein Online Ein urzeitlicher Stein auf Reisen

Ein Stein auf einem Acker sorgte 2012 für Schlagzeilen – das Hindernis beim Mähen entpuppte sich als Deckplatte eines zirka 5000 Jahre alten Dolmengrabes. Doch wie wurde der 7-Tonnen-Stein einst auf das Grab gewuchtet und woher stammt er überhaupt?

Jahrelang hatte ein Bauer in der Berner Gemeinde Oberbipp um den Stein herumgemäht, bis es ihm eines Tages zu viel wurde. Er beschloss, den Störenfried aus seiner Wiese zu entfernen. Doch der Stein entpuppte sich als Deckplatte eines Dolmens, eines jungsteinzeitlichen Gemeinschaftsgrabes – für die Archäologen ein Sensationsfund.

Modell des Dolmengrabes
Legende: Modell des Dolmengrabes So könnten unsere steinzeitlichen Vorfahren auf das Grab geblickt haben. SRF

Errichtet wurde das Grab wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 4. Jahrtausends vor Christus als Kollektivgrab einer in der näheren Umgebung ansässigen Gemeinschaft. Sechs Monate legten Archäologen und Anthropologen die Steine des Grabes frei und konnten Skelette von etwa 30 Menschen und verschiedene Grabbeigaben bergen. Die Funde werden derzeit von Spezialisten analysiert.

Pyramidenbau in Oberbipp

Auch der sieben Tonnen schwere Deckstein wartet darauf, weiter untersucht zu werden. Drei Meter ist er lang, zwei Meter breit und bis 80 Zentimeter hoch. Hinweise darauf, wie unsere Vorfahren den mächtigen Koloss auf die Seitensteine des Grabes gewuchtet haben könnten, wurden bei der Ausgrabung nicht gefunden.

Regula Gubler, stellvertretende Bereichsleiterin der Siedlungs- und Gräberfeldarchäologie beim Archäologischen Dienst in Bern, vermutet jedoch, dass der Stein auf runden Hölzern zum Grabplatz gerollt worden sein könnte, wie man es aus Illustrationen zum Bau der Pyramiden in Ägypten kennt. «Über eine Erdrampe könnte er anschliessend auf die Grabkammer hinaufgezogen worden sein», sagt die Forscherin, «ob von Menschen oder Zugtieren wissen wir nicht.»

Oberbipp am Gletscher

Dass die steinzeitlichen Oberbipper den mächtigen Stein als Deckplatte für ihre Grabkammer nutzten, ist nicht ungewöhnlich. Das Verwenden von Megalithen, grossen Steinblöcken, für Dolmen und ähnliche Bauten war in der Jungsteinzeit weit verbreitet – sofern diese Steine vorhanden waren.

Karte der Schweiz zur letzten grossen Eiszeit: Ein roter Pfad zeigt, welchen Weg der Stein genommen haben könnte.
Legende: Der Weg des Findlings: Oberbipp (roter Kreis) zur letzten grossen Eiszeit. Der rote Pfad zeigt, welchen Weg der Stein genommen haben könnte. admin.ch/Flavio Anselmetti

In Oberbipp waren sie es. Der Ort liegt nahe der eiszeitlichen Endmoräne des Rhone-Gletschers, also der Linie, an welcher das Eis während dem Maximum der letzten Eiszeit endete. Hier liegen einige Findlinge, die der Gletscher während der letzten Eiszeit vor circa 20‘000 Jahren hintransportiert hatte. Als das Eis dann schmolz, blieben die Steine liegen. «Dieser Findling könnte von seiner Zusammensetzung her gut vom Mont-Blanc-Massiv stammen, wo ähnliche Gesteine vorkommen», mutmasst Flavio Anselmetti, Geologe an der Uni Bern. Genauere Untersuchungen müssen allerdings noch folgen.

Unglaubliche Zeitdimensionen

Der Findling erzählt von Zeitdimensionen, die den Geologen erfreuen: «Vor mehreren Hundert Millionen Jahren erstarrte flüssige Magma zu diesem granitischen Stein in mehreren Kilometern Tiefe und wurde dann vor etwa 20 Millionen Jahren Teil der alpinen Gebirgsbildung. Danach, speziell seit einer Million Jahren, hoben sich die Alpen und mehrere Eiszeiten führten zur Bildung der tiefen alpinen Täler. Die letzte grosse Vergletscherung fand vor 20'000 Jahren statt, während der dieser Stein aus dem Mont-Blanc-Massiv auf den Rhône-Gletscher fiel und mit dem Eisfluss ins Mittelland transportiert wurde, wo ihn dann etwa 4000 vor unserer Zeitrechnung die Steinzeitmenschen in Oberbipp für ihren Dolmen verwendeten. Und heute graben wir ihn aus!»

Ein Sensationsfund wie für die Archäologen ist die mächtige Grabplatte für den Geologen Anselmetti jedoch nicht: «Der Fund des Steines an diesem Ort ist nicht überraschend für uns. Spannend ist vielmehr zu sehen, wie die geologische Geschichte durch menschliche Einflüsse weitererzählt wird.»

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