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Einstein Online «Eine Pille vom Pfarrer – und dann gäb's eben Kinder»

Bewohnerinnen der Alterspension im St. Gallischen Dorf Schmerikon erzählen, wie sie in den 1960er-Jahren aufgeklärt wurden – oder eben nicht. Denn es gab keinen Aufklärungsunterricht und kein Internet. Und zuhause durfte man über solche Themen auch nicht sprechen. Einzige Hilfe: das «Bravo»-Heftli.

Vor 50 Jahren war Sex ein Tabuthema. Die Sexualität der Frau war in den Köpfen zwingend mit Ehe, Schwangerschaft und Mutterschaft verknüpft – und sexuelle Handlungen «nur» zur Lusterfüllung waren verpönt. Die Folge: Generationen von Frauen wurden geschlechtsreif oder gar schwanger, ohne jemals aufgeklärt worden zu sein.

Seniorinnen der «Pension Obersee» erinnern sich:

Heutige Jugendliche werden dagegen mit sexuellen Inhalten regelrecht überschwemmt: Das Internet liefert innert Sekunden Millionen von expliziten Bildern und Videos – gratis und ohne Altersbeschränkung. In den 1960er-Jahren aber hatten junge Menschen noch keinen Zugang zu erotischen Abbildungen; in der Schweiz galt ein strenges Pornografie-Verbot.

Besonders die Drucksachen-Importe aus Deutschland wurden an der Schweizer Grenze von spezialisierten Zollbeamten streng kontrolliert. Publikationen mit expliziten Abbildungen wurden zensuriert. Das heisst: Die entsprechenden Seiten wurden entfernt oder gleich die ganze Lieferung zurückgeschickt.

Doch das änderte sich bald: Mit der Antibabypille und den Blumenkindern der 68er-Jahre kam das Pornografie-Verbot immer stärker unter Druck. Denn die Schweizer Zivilgesellschaft hatte sich bereits vom Nachkriegsmief mit seiner bürgerlichen Prüderie verabschiedet.

Erst 1971 war es dann auch in der Schweiz soweit; das Pornografie-Verbot wurde aufgehoben. In der Folge brandete die sogenannte «Sexwelle» über das Land: In einschlägigen städtischen Quartieren eröffneten immer mehr Sexshops, an den Kiosken wurden erotische Heftli verkauft und Kinos warben mit schlüpfrigen Fotos für den neusten Sexfilm.

Erotik und Sex nahmen allmählich den öffentlichen Raum in Beschlag. Auch der Stützli-Sex, wie in der Schweiz Live-Peepshows genannt wurden, erfreute sich grösster Beliebtheit.

Die sogenannte Sexwelle löste in der Bevölkerung grosse Besorgnis aus. Eltern und Lehrer fürchteten den schlechten Einfluss der Übersexualisierung auf ihre Kinder. Daran entzündete sich eine schweizweite Debatte über die sexuelle Aufklärung. Und es zeigte sich: Viele Eltern waren damit schlicht überfordert.

Folgerichtig wurde Sexualkunde zum Pflichtstoff in der Schule. Dass die Jugend heute von ausgebildeten Lehrern aufgeklärt wird, ist also der grossen Sex- und Pornowelle in den 1970er-Jahren zu verdanken.

Aus dem SRF-Archiv: Filmbeiträge zum Thema

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