Wer kennt sie noch, die Walliser Schwarzhalsziege, die Bündner Strahlenziege, die Tessiner Nera Verzasca oder die Stiefelgeiss? Immer weniger Ziegen leben in der Schweiz: Um 1940 waren es mehr als 210‘000 Tiere, 2004 noch rund 70‘000. Zu wenig, findet Martin Kreiliger aus Disentis: Der Forstingenieur und Geschäftsführer des Bergwaldprojekts (siehe Infobox) macht mit den Geissen beste Erfahrungen.
Auf 1860 Meter über dem Meeresspiegel: Rund 300 Ziegen, von denen zwei Drittel Milch geben, ziehen nun im dritten Jahr von Juni bis September über die Alp Puzzetta am Lukmanierpass, die grösste und älteste Geissenalp im Kanton Graubünden. Die Milchlieferanten werden gezielt eingesetzt, um den wuchernden Wald im Zaum zu halten – ob tagsüber, wenn die Herde unterwegs ist, oder nach dem Melken, wenn es auf die Nachtweide geht.
Fleissige Fresser auf der Alp
Die Tiere knabbern die Triebe junger Bäume ab und schützen so die Kulturlandschaft – nicht nur oberhalb der Baumgrenze, wo Alpwiesen durch Sträucher verganden, sondern vor allem unterhalb, wo eine Verwaldung droht. «Ziegen sind sehr effizient. Im Sommer laufen sie 120 Tage pro Jahr ihre Touren ab», sagt Kreiliger, «sie sind genügsam und arbeiten auch bei schlechtem Wetter, wenn wir Menschen gerne jammern.»
Bedarf gibt es genug. Als das Projekt vor drei Jahren begann, waren an den Rändern der Alp bereits Anzeichen einer Vergandung zu sehen. Und in der Fläche, so ergab eine Zählung, wuchsen pro Quadratmeter durchschnittlich zwei bis drei Keimlinge von Fichten, aus denen später stattliche Bäume werden könnten.
Zu Beginn wachsen die Bäumchen wegen des kalten Bodens, der kurzen Vegetationszeit und der widrigen Bedingungen allerdings extrem langsam, erklärt Kreiliger: «Manche Fichten sind nach 50 Jahren erst einen halben Meter hoch. Aber danach beginnen sie, stark zu wachsen.» Und weil in den vergangenen 60 Jahren nicht viel abgefressen wurde, «geht es jetzt los hier», so der Fachmann, «ringsherum explodiert die Landschaft.»
Als Fichtenvernichter sind die Ziegen besonders geeignet, weil sie – anders als Kühe - genügsam sind. Sie knabbern an jungen Baumtrieben und Knospen, aber verschmähen auch die Rinde nicht – eine Diät, die den Fichten schwer zu schaffen macht. Noch lieber naschen die Wiederkäuer an den strauchförmigen Alpen-Erlen. «Eine Delikatesse!», sagt Kreiliger, «da fressen die Geissen einfach alles weg. Und manche Bauern sagen, dass die Milch dann noch besser schmeckt.»
Mehr Ziegenkäse in Supermärkten
«Früher war der Einsatz von Ziegen gang und gäbe», sagt Kreiligers Kollegin Ursi di Giuliantonio, die den Alpeinsatz mitbetreut. Und die Landschaftspflege mit Ziegenhilfe könnte sich in Zukunft wieder durchsetzen, sagt sie, auch weil Käse aus Ziegenmilch bei den Konsumenten beliebter sei als früher und immer häufiger in den Regalen von Supermärkten stehe. Stimmt, heisst es beim Milchverarbeiter Emmi in Luzern: Geissenkäse sei zwar noch immer ein Nischenprodukt, doch von 2000 bis 2010 hat sich die Produktion in der Schweiz verdoppelt. Und auch Milch und Joghurt würden zunehmend verkauft.
So setzen auch die beteiligten Bauern aus der Alpkorporation Puzzetta Hoffnungen in die Ziegen. «Aus unserer Sicht ist das Projekt erfolgreich», sagte Martin Lutz, der für Milchverarbeitung und Finanzen zuständig ist. Und dass die Geissen künftig einer Alpverwaldung entgegenfressen, hält er für «eine gute Strategie». Martin Kreiliger geht freilich noch weiter. «Ohne die Tiere wäre die Landschaft dort in 20 Jahren schon verwaldet», sagt er, «und in 40 Jahren wäre der Prozess irreversibel.»