Dienstagmorgen, 6.30 Uhr im Schwimmbad Oerlikon. Ich strecke kurz einen Fuss ins Wasser, um die Temperatur zu fühlen, setze die Schwimmbrille auf und springe ins Becken. 200 Meter Lagen soll ich schwimmen, genauso wie die Limmat-Nixen. Aber von wegen Lagen, mein Schmetterling ist ein sterbender Schwan und eine der Nixen bemerkt keck, dass meine Brustschwimm-Technik an jene einer Grossmutter erinnert. Aber da muss ich durch, schliesslich will ich – so gut es eben geht – am Training teilnehmen.
Während ich mich für dieses Training ungewohnt früh aus den Federn kämpfen musste (5.00 Uhr), ist das für die Limmat-Nixen Alltag. Das A-Team trainiert sechs Tage die Woche, insgesamt rund 23 Stunden. Weil die jungen Frauen zwischen 16 und 25 Jahren alle berufstätig oder noch in der Schule sind, beginnt das Training wochentags schon um 6.30 Uhr. Aber die Strapazen lohnen sich: Im letzten Jahr gewannen acht der Limmat-Nixen, die Teil der Nationalmannschaft sind, den fünften Gruppen-Platz an den Europameisterschaften. Eine Meisterleistung, wenn man bedenkt, dass die stärksten Teams bis zu 70 Stunden pro Woche trainieren.
Seitenstecher nach 10 Minuten
Nach dem Einschwimmen wird mir die Limmat-Nixe Désirée Widmer zugewiesen. Die athletische 19-Jährige soll mir einige Grundfertigkeiten wie den «Eggbeat» beibringen. Das ist die kreisende Bein-Bewegung im Wasser, die dafür sorgt, dass man an der Oberfläche bleibt. Ein unglaublicher «Chrampf», wie ich schnell feststellen muss. Schon nach kürzester Zeit überkommt mich ein leichtes Brennen in den Beinen und Seitenstecher stellt sich ein. Dazu muss ich sagen, dass ich sportlich nicht völlig unbedarft bin. Ich bin seit Jahren Kunstturner und jogge häufig. Viel zu helfen scheint das nicht. «Im Wasser ist alles anders und viel anstrengender», erklärt Désirée. Wenig später wird mir klar was sie meint. Das ständige auf- und abtauchen, gepaart mit dem Kampf, mich über Wasser zu halten, lässt meine Energie schwinden, wie die eines Handyakkus in der Kälte.
Die Luft anhalten
Gut die Hälfte der mehr als 4-minütigen Kür verbringen die Limmat-Nixen mit dem Kopf unter Wasser. Passagenweise halten sie die Luft bis zu 45 Sekunden am Stück an. Der Körper muss deshalb lernen, mit wenig Sauerstoff auszukommen und trotzdem sportliche Höchstleistungen zu bringen. Stephanie Crocker von der Organisation U.S. Synchronized Swimming sagte diesbezüglich einst sehr treffend: «Es ist als renne man innerhalb von 4 Minuten eine Meile und hielte dabei während der Hälfte der Zeit die Luft an.»
Eine Möglichkeit, um Körper und Lunge für diese extreme Belastung zu konditionieren, ist, eine Länge schwimmen, die nächste zu tauchen und dann wieder zu schwimmen. Und das ganze über eine Distanz von mehreren 100 Metern. Ich für meinen Teil muss an solche Übungseinheiten nicht im Entferntesten denken. Schon der Versuch, einfach ruhig an der Wasseroberfläche zu liegen, misslingt ständig. Von einer optimalen Wasserlage bin ich weit entfernt. Vom kühlen Wasser, das mir die Körperwärme richtiggehend auszusaugen scheint, gar nicht zu sprechen. Und während ich den Handstand an Land aus dem Effeff beherrsche, verliere ich im Wasser beim freischwebenden Handstand-Verticale völlig die Balance.
Ja, ich falle an diesem Morgen im Schwimmbad Oerlikon auf. Nicht nur wegen meiner panischen Atemzüge vor jedem Abtauchen, sondern auch, weil ich der einzige bin, der keinen Badeanzug, sondern Badehosen trägt. Als Mann ist man heute im Synchronschwimmen unweigerlich ein Paradiesvogel.
Reigenschwimmen für Männer
Das war nicht immer so. Ganz im Gegenteil: Die ersten Hinweise auf diese Sportart lassen sich schon rund 900 Jahre vor Christus bei den Griechen finden. Damals zeigten Schauspieler – häufig auch Männer – ihre Tanzdarbietungen im Wasser. Die ersten Wettkämpfe sind auf Ende des 19. Jahrhunderts datiert. Zugelassen waren damals – man höre und staune – nur Männer. Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts änderte sich das. Der Sport wandelte sich zur typischen Frauendisziplin. Ironischerweise sind Männer heute bei vielen Synchronschwimm-Wettkämpfen, darunter den Olympischen Spielen, nicht einmal mehr zugelassen.
Muskelkater lässt grüssen
Unterdessen – und nach etlichen Versuchen – schaffe ich zusammen mit den Limmat-Nixen eine kleine Hebefigur und die sogenannte Sternformation im Wasser. Und als hätte ich nicht schon genug, folgt den drei Stunden Wassertraining noch eine weitere Stunde Konditionstraining. Spätestens jetzt mehren sich die Anzeichen endgültig, dass mich morgen ein kräftiger Muskelkater plagen wird. Synchronschwimmen ist ein Hochleistungssport. Mit ein bisschen «Dressurbädele» hat es überhaupt nichts zu tun.