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Einstein Online Bin ich wirklich Schweizer?

Woher kommen wir? Wer sind wir? Im Rahmen der «Einstein»-Sendung über «Menschenströme» macht sich Moderator Tobias Müller auf die Suche nach seinen eigenen Wurzeln. Er wird dabei ziemlich überrascht: Weshalb er ein «Italio-Skandinavier» sein könnte und wo viele Ur-Schweizer eigentlich herkommen.

Meine Suche beginnt mit einem Anruf bei meiner Mutter. Sie kennt noch ihre Ur-Grosseltern, die damals schon in Mels lebten, meiner Heimatgemeinde. «Wenn du mehr über deinen Ursprung wissen willst, frag Hans, den Mann meiner Cousine», riet sie mir. Er habe den Stammbaum der Familie erarbeitet.

Tatsächlich kann ich über ihn die Ahnenlinie mütterlicherseits bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Er wühlte sich durch etliche Familien- und Bürgerregister und konnte so die familiäre Vergangenheit nachzeichnen. Bis zurück zu meinem Urururururururururur-Grossvater (10 mal Ur!) Hugo Good, der um 1580 geboren wurde und bereits in meiner heutigen Heimatregion lebte.

Video
«Migration und Menschenströme»: Heute um 21:00 Uhr bei «Einstein»
Aus Einstein vom 20.10.2015.
abspielen. Laufzeit 23 Sekunden.

Auch die Suche auf meines Vaters Seite liefert ähnliche Ergebnisse. Kurzum: Ich bin wohl Schweizer durch und durch. Seit Jahrhunderten. Aber was war vorher? Wo lebten meine Ur-Verwandten, als die spätere Schweiz noch weitgehend unter den dicken Eismassen der letzten Eiszeit schlummerte, also ein lebensfeindlicher Ort war?

Ahnenforschung mit DNA

Roman Scholz, Experte auf dem Gebiet der sogenannten DNA-Genealogie, kann mir Antworten liefern. Mit Hilfe einer Erbgut-Analyse will er mir einen Blick in längst vergangene Jahrtausende meiner Ahnengeschichte ermöglichen. Das einzige, was er dazu benötigt, ist ein wenig Speichel von mir.

Roman Scholz ist sich sicher, noch ganz andere Regionen als nur die Schweiz in meinen Genen zu finden. Stamme ich also vielleicht aus dem Süden? Wegen meiner dunklen Augen, Haare und des eher dunklen Teints werde ich immer wieder gefragt, ob italienisches Blut in meinen Adern fliesse.

Vergleich mit 740'000 Menschen

Haplogruppen

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Eine Haplogruppe ist eine Gruppe von Menschen, die von einem gemeinsamen Urvater in rein männlicher Linie oder einer gemeinsamen Urmutter in rein mütterlicher Linie abstammt.

Um meinen Wurzeln auf die Spur zu kommen, wird meine DNA mit jener von Menschen aus der ganzen Welt verglichen. Insgesamt mit rund 740’000 DNA-Profilen. «Hierdurch können wir erkennen, zu welcher Region das jeweilige Profil am besten passt. Bestimmte Bestandteile des Profils, vor allem die Haplogruppen (siehe Textbox rechts) sind hinsichtlich ihrer Wanderungen in prähistorischer und antiker Zeit, bereits relativ gut erforscht», erklärt Roman Scholz.

Aber Vorfahren zu finden, die vor 10‘000 Jahren lebten? Wie ist das möglich? Schliesslich hat sich die DNA über die Jahrhunderte immer und immer wieder verändert. Ja schon, aber bestimmte Teile eben nicht: «Die sogenannten Y-DNA (väterliche Linie) und mtDNA (mütterliche Linie) werden von Vater und Mutter ohne Einfluss des anderen Elternteils vererbt. Es gibt in diesen Bereichen der DNA also keine Vermischung. Das Profil verändert sich nur durch seltene Mutationen und damit sehr langsam», sagt Roman Scholz.

Will heissen: Zwei Cousins aus der gleichen männlichen Linie, die vor etwa 10‘000 Jahren einen gemeinsamen Vorfahren haben, besitzen heute noch immer ein relativ ähnliches Y-DNA-Profil. Das macht es möglich, auch sehr weit zurückliegende Verwandtschaften zu rekonstruieren.

Typisch Westeuropäer

Nach einigen Wochen erhalte ich die Ergebnisse meiner Speichelproben. Und siehe da: Meine Verwandten lebten bereits einige hundert Jahre vor Christus in Westeuropa – vielleicht damals schon auf dem heutigen Schweizer Gebiet. Väterlicherseits waren es Kelten oder Germanen, mütterlicherseits mit Bestimmtheit Kelten. «Diese Ergebnisse sind wenig überraschend und typisch für Westeuropäer», erläutert Roman Scholz.

Karte.
Legende: Die Haplogruppe M269 zog es vom Schwarzen Meer nach Westeuropa. eupedia.com

Blickt man nun noch deutlich weiter zurück, so besiedelten meine Ahnen mütterlicherseits (Haplogruppe V) vor rund 10‘000 Jahren die iberische Halbinsel. Väterlicherseits lebten meine Verwandten am Schwarzen Meer. Auf Vaters Seite zähle ich zur Haplogruppe R-M269 (siehe Grafik), die im Laufe der Jahrtausende vermutlich vom Schwarzen Meer aus entlang der Donau wanderte und langsam Westeuropa in Beschlag nahm.

Viele Schweizer kommen vom Schwarzen Meer

Generell lässt sich über uns Schweizer sagen, dass wir natürlich von den ersten Menschen in Europa abstammen. Laut Scholz dürften in unseren Genen zu etwa 26 Prozent die Spuren der prähistorischen Jäger und Sammler stecken, die vor circa 40'000 Jahren in Europa lebten. 36 Prozent sind den sogenannten ersten Ackerbauern zuzuordnen, die vor circa 5000 Jahren in Westeuropa ankamen. Und auf die Indoeuropäer, die es vor rund 4000 Jahren dorthin verschlug, fallen schliesslich 38 Prozent.

Scholz betont aber, dass die vorliegenden Zahlen zwar als gut fundierte Arbeitshypothese zu den urzeitlichen Migrationsströmen gesehen werden könnten, als mehr aber auch nicht. Gerade weil die Einwanderung einzelner Gruppen teilweise umstritten sei.

Ich bin heute ein «Italo-Skandinavier»

Jetzt aber zurück zu meinen persönlichen Ergebnissen: Seit meinen Ahnen vom Schwarzen Meer oder später den Kelten und Germanen, hat sich natürlich nochmal einiges getan. Ich, ein Schweizer durch und durch? Fehlanzeige!

Meine Gene lassen sich sieben verschiedenen Regionen zuordnen. «Ihre Herkunft ist deutlich vielfältiger als beim durchschnittlichen Westeuropäer, der meist circa drei bis vier Regionen im Ergebnis hat», konstatiert Roman Scholz.

Im Detail heisst das: Genetisch bin ich zu 27 Prozent Skandinavier, gefolgt von 21 Prozent Südeuropäer (hier steckt wohl der italienische Teint drin) sowie zu 20 Prozent Mittel- und Westeuropäer. Ausserdem sind 10 Prozent den Britischen Inseln zuzuordnen, 11 Prozent Kleinasien, 6 Prozent der Jüdischen Diaspora sowie 5 Prozent Osteuropa. Für mich ein äusserst überraschendes Ergebnis. Es zeigt mir eindrücklich, dass ich heute zwar ein Schweizer bin, im Grunde genommen aber, wie wir alle: einfach Mensch.

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