Seit dem mittelalterlichen Versepos «Reineke Fuchs» ist sein Ruf zementiert: Ein listiger Lügner soll er sein, schlauer als jeder Fünf- und Neunmalklug und sein Charakter voller Verschlagenheit. Das Werk hat viele Dichter inspiriert; sogar Goethe hat den pelzigen Gesellen literarisch gemobbt. Was Meister Reineke verbrochen hat? Nun, er zwängt und gräbt sich in lottrige Hühnerhäuschen, wo er die Geflügelhalter um Eier und Braten bringt. Darum sind bei ihm die Attribute «schlau» und «listig», die bei Menschen mitunter als Qualitäten gelten, immer negativ gemeint: Keine Fabel besingt seine Schläue im selbstlosen Einsatz für Mensch und Tier. Dass Füchse jahrhundertelang gejagt, geschossen und vergiftet wurden, verwundert also nicht.
Dabei sind Begriffe wie schlau und listig bei Tieren kaum angebracht. Sie setzen ein Bewusstsein voraus, das die Bedeutung einer Tat für das Opfer einschätzen kann. Doch wie soll der Fuchs wissen, dass er kein Recht auf Hühner hat? Dass ihre Eier Menschen ernähren? Er weiss nicht, dass er stiehlt. Er riecht ganz einfach nur «den Braten». Die Nase des Rotschopfs ist besser als die der meisten Jagdhunde und rund vierhundert Mal sensibler als die des Menschen: Beutetiere, Nahrung überhaupt, aber auch Hunde oder Menschen – Jäger! – wittert er von Weitem und Spuren «liest» er, indem er sie beschnüffelt. Wer so gut riecht, wird vorsichtig und überlebt manche Gefahr, doch im menschlichen Sinne «schlau» ist er nicht.
Gleichwohl hat der Fuchs noch einen Trumpf: seine Anpassungsfähigkeit. In der Verhaltensbiologie gilt er als «Opportunist»: eine Kreatur, die keine Veränderung schreckt; flexibel, wie sich das Manager von Angestellten wünschen. Ob im Wald oder Grasland, ob auf Äckern oder Feldern – der Fuchs passt seinen Menüplan den Gegebenheiten an. Zwar ist er auf Mäuse spezialisiert, denn die gibt's das ganze Jahr über. Aber bei einem Tagesbedarf von 15 Nagern verspeist er dann doch fast alles, was ihm vor die Schnauze kommt: kein Wurm, keine Schnecke, die vor ihm sicher wäre; erst recht kein Hase! Süsse Früchte mag er über alles – und längst zählt der Überlebenskünstler auch Städte zum Revier: Seine Supernase zeigt ihm, wo es leckere Komposthaufen hat und nahrhafte Speisereste im Abfallsack.