Konzentriert blickt Nicole Gebbia durch das Display des Fotoapparats. An ihren Händen trägt sie Spezialhandschuhe, denn das Negativ, das sie gerade digitalisiert, ist hochempfindlich. Über 9000 historische Fotos, die ältesten davon aus den Pionierzeiten des Fernsehens um 1953, haben die Mitarbeiterin des Fotoarchivs und ihre Kollegin Eva Nussbaumer, SRF-Bildredaktorin, seit Oktober 2023 bereits digital erfasst. Davon sind mehr als 850 in dem Bild- und Metadatensystem der Bildagentur archiviert.
Auslöser für das Digitalisierungsprojekt: der Umzug des SRF-Fotoarchivs in einen anderen Gebäudetrakt. Schnell stellte sich die Frage, was aufbewahrt werden kann – und wie, damit die sensiblen Fotonegative erhalten werden können. Die Stiftung Kulturerbe von Schweizer Radio und Fernsehen unterstützt das Projekt finanziell.
Wie entscheidet ihr, was digitalisiert wird?
Eva Nussbaumer: Angesichts der riesigen Anzahl an Negativen müssen wir uns auf eine Auswahl beschränken. Gemeinsam mit dem Fachbereich Recherche & Archive haben wir beschlossen, unternehmensrelevante Bilder zu digitalisieren. Zum Beispiel Making-of-Fotos, Arbeitssituationen, Gebäudebilder, Technik – alles, was einen grösseren Blick auf SRF wirft und für zukünftige Forschungsprojekte spannend ist. Aber wenn wir Lücken entdecken, etwa über eine Sendung stolpern, von der wir zuvor gar nicht wussten, dass es sie überhaupt gab, dann nehmen wir diese natürlich auch auf.
Einblicke in die Digitalisierungsarbeit
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Bild 1 von 2. Die beiden SRF-Fotoexpertinnen arbeiten bei der Digitalisierung mit einer digitalen Kamera, einem Stativ, einer Leuchteinheit und einem Filmhalter. Bildquelle: SRF/Gian Vaitl.
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Bild 2 von 2. Ein «Aha-Erlebnis»: links das historische Negativ, rechts das Bild nach der digitalen Umwandlung und Bearbeitung. Bildquelle: SRF.
Was gefällt euch an der Arbeit mit den alten Bildern?
Nicole Gebbia: Der Blick auf Momentaufnahmen aus der Vergangenheit. Der Kleidungsstil, die Frisuren der Menschen, alte Sendungen wie «S Rössli Hü». Ich finde es schön, auf Dinge zu stossen, die ich zum Beispiel von meiner eigenen Mutter kenne, und in die Stimmung, den Arbeitsalltag vor allem der Pionierzeit des Fernsehens einzutauchen. Was mich ebenfalls beeindruckt: die starke Verbundenheit der Mitarbeitenden des Fernsehens untereinander.
Eva Nussbaumer: Es ist gelebte Geschichte, die man auf den Bildern sieht. Man begibt sich auf eine Zeitreise. Und es ist spannend, auf was man alles stösst.
Nicole Gebbia: Das ist das Aufregendste, zu merken: Jetzt habe ich etwas gefunden! Und die Farben zu sehen, wenn wir die Farbnegative in Positive umwandeln, ist immer wieder ein Wow-Effekt.
Eva Nussbaumer: Es ist auch schön zu wissen, dass wir mit unserer Arbeit einen Mehrwert für die nächsten Generationen, für die Gesellschaft und die Forschung schaffen.
Man hat nicht einfach drauflosfotografiert – schliesslich hatte man pro Film nur 36 Fotos zur Verfügung.
Was sind die grössten Unterschiede zwischen den Archivbildern und heutigen Fotos?
Eva Nussbaumer: Bei der Qualität besteht ein grosser Unterschied. Insbesondere bei den Farbbildern bis in die 80er-Jahre ist die Auflösung nicht so gross, wie wir sie heute von der Digitalfotografie kennen. Die Bildsprache hat sich zudem sehr verändert, vor allem bei den Portraits.
Nicole Gebbia: Ausserdem musste man gut überlegen, was man auf seinem Film haben wollte, und sorgsam fotografieren. Deshalb gibt es besonders schöne und interessante Aufnahmen im Archiv.
Eva Nussbaumer: Man hat nicht einfach drauflosfotografiert – schliesslich hatte man pro Film nur 36 Fotos zur Verfügung. Natürlich gibt es trotzdem Bilder, die missglückt sind.
Nicole Gebbia: Genau: Das Handwerk ist viel stärker zu sehen als bei der digitalen Fotografie. Man konnte im Nachhinein nichts bearbeiten, nichts löschen – oder nur mit aufwändiger manueller Retouchetechnik.
Welche Bilder haben euch besonders beeindruckt?
Nicole Gebbia: Bei mir sind das Bilder aus der Arbeitswelt, etwa der Bau der Antennenanlage auf dem Hochhaus. Es sind wunderbare ungestellte Reportagefotos davon gemacht worden, wie die Handwerker dort arbeiteten. Auch die Bilder, mit denen klassische Fernsehberufe dokumentiert wurden, gefallen mir gut. Alleine schon die technischen Geräte zu sehen, die früher für das Fernsehen und Radio benutzt wurden, ist spannend.
Eva Nussbaumer: Manche Bilder sind wahre Aha-Erlebnisse: Bei einer Reportage über den Fernsehberuf Kameramann Aussenproduktion sind wir unerwartet auf die junge Sängerin Paola Del Medico und den berühmten Schauspieler Zarlie Carigiet gestossen. Diese Produktion ist einfach in Vergessenheit geraten … Unser grösster Fund sind aber die Fotos vom jungen David Bowie, der einen seiner ersten Fernsehauftritte in der Sendung «Hits à Gogo» hatte.
Perlen aus dem SRF-Fotoarchiv
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Bild 1 von 9. Trotz seines jungen Alters unverkennbar: David Bowie am 12. November 1969 bei den Proben zur Sendung «Hits à Gogo». Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 9. In luftiger Höhe: Arbeiten an der Sendeantenne im Jahr 1992. Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 9. Ein Überraschungsfund: Dreharbeiten im Jahr 1970 mitten in Zürich mit Paola Del Medico ... Bildquelle: SRF.
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Bild 4 von 9. … und mit Zarlie Carigiet am Limmatufer beim Bellevue. Bildquelle: SRF.
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Bild 5 von 9. So entstehen vor über 50 Jahren Gutenachtgeschichten, hier im Jahr 1970 «S Rössli Hü». Bildquelle: SRF.
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Bild 6 von 9. Ein Kameramann 1978 bei der Arbeit – eindrückliche Technik von aussen … . Bildquelle: SRF.
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Bild 7 von 9. … sowie von innen. Kameratechniker arbeiten im Jahr 1965 an einer offenen TV-Kamera. Bildquelle: SRF.
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Bild 8 von 9. Echte Handarbeit: eine Cutterin im Jahr 1987 am Schnittplatz. Bildquelle: SRF.
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Bild 9 von 9. Weniger Bildschirme, mehr Papier: So sieht die Arbeit in der Sendeleitung im Jahr 1979 aus. Bildquelle: SRF.
Natürlich zeigen die Bilder nicht nur die rosigen Aspekte der Vergangenheit …
Eva Nussbaumer: Es ist unglaublich viel geraucht worden. Überall sind Menschen mit Zigaretten im Mund zu sehen. Auch das Rollenbild zeigt sich auf den Fotos ganz deutlich – was «Frauenberufe», was «Männerberufe» waren: Es gibt in den Anfangszeiten keine einzige Kamerafrau auf den Bildern, dafür Telefonistinnen. In den Unterhaltungssendungen wurden viele Tänzerinnen als «Dekoration» eingesetzt.
Verändert sich durch das Archivprojekt auch euer privater Umgang mit Fotos?
Nicole Gebbia: Definitiv. Ich habe jetzt alles bei mir daheim, was noch auf CD war, auf einer Festplatte gesichert. Denn auch CDs sind keine Datenträger für die Langzeitarchivierung.
Eva Nussbaumer: Für mich sind alte Fotoschätze ohnehin ein Hobby. Aber ich habe nun noch einmal gemerkt, wie essenziell es ist, möglichst viele Informationen, sprich Metadaten, zu einem Bild zu sammeln und aufzubewahren. Das ist in vielen privaten Archiven sicher ein Thema. Man denkt: «Ich weiss ja, was drauf ist.» Aber schon die Enkelkinder wissen bei den meisten Fotos nicht, wer und was abgebildet ist.