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Eva Nussbaumer und Nicole Gebbia halten alte Fotonegative in den Händen und lächeln in die Kamera.
Legende: In ihrem Element: Eva Nussbaumer und Nicole Gebbia digitalisieren alte Negative. SRF/Gian Vaitl

Archivprojekt der Bildagentur «Manche Bilder sind wahre Aha-Erlebnisse»

Bereits rund 9000 historische Negative gingen durch ihre Hände: Eva Nussbaumer und Nicole Gebbia digitalisieren Perlen aus dem SRF-Fotoarchiv. Im Interview verraten die beiden, welche Funde sie besonders beeindrucken und weshalb Ordnung auch bei der Arbeit mit Bildern das halbe Leben ist.

Konzentriert blickt Nicole Gebbia durch das Display des Fotoapparats. An ihren Händen trägt sie Spezialhandschuhe, denn das Negativ, das sie gerade digitalisiert, ist hochempfindlich. Über 9000 historische Fotos, die ältesten davon aus den Pionierzeiten des Fernsehens um 1953, haben die Mitarbeiterin des Fotoarchivs und ihre Kollegin Eva Nussbaumer, SRF-Bildredaktorin, seit Oktober 2023 bereits digital erfasst. Davon sind mehr als 850 in dem Bild- und Metadatensystem der Bildagentur archiviert.

Auslöser für das Digitalisierungsprojekt: der Umzug des SRF-Fotoarchivs in einen anderen Gebäudetrakt. Schnell stellte sich die Frage, was aufbewahrt werden kann – und wie, damit die sensiblen Fotonegative erhalten werden können. Die Stiftung Kulturerbe von Schweizer Radio und Fernsehen unterstützt das Projekt finanziell.

Die Stiftung Kulturerbe von Schweizer Radio und Fernsehen

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Seit ihrer Gründung 2014 unterstützt die unabhängige SRF-Kulturerbe-Stiftung Vorhaben zum Erhalt des audiovisuellen Erbes von SRF und finanziert Projekte zur Digitalisierung und Erhaltung der Archivbestände. Sie beschafft hierzu auch externe Finanzmittel. Die Kulturerbe-Stiftung darf bei all ihren Tätigkeiten keine kommerziellen Ziele verfolgen.

Dank dem Engagement der Stiftung konnten bereits umfangreiche historische Bestände in den SRF-Archiven vor dem Zerfall gerettet werden und stehen gut auffindbar für eine Wiederverwertung im aktuellen Angebot zur Verfügung. Die Stiftung setzt sich auch für die Verbesserung des Zugangs der Öffentlichkeit zum audiovisuellen Kulturerbe von SRF ein.

Den sechsköpfigen Stiftungsrat präsidiert SRF-Direktorin Nathalie Wappler.

Wie entscheidet ihr, was digitalisiert wird?

Eva Nussbaumer: Angesichts der riesigen Anzahl an Negativen müssen wir uns auf eine Auswahl beschränken. Gemeinsam mit dem Fachbereich Recherche & Archive haben wir beschlossen, unternehmensrelevante Bilder zu digitalisieren. Zum Beispiel Making-of-Fotos, Arbeitssituationen, Gebäudebilder, Technik – alles, was einen grösseren Blick auf SRF wirft und für zukünftige Forschungsprojekte spannend ist. Aber wenn wir Lücken entdecken, etwa über eine Sendung stolpern, von der wir zuvor gar nicht wussten, dass es sie überhaupt gab, dann nehmen wir diese natürlich auch auf.

Einblicke in die Digitalisierungsarbeit

Was gefällt euch an der Arbeit mit den alten Bildern?

Nicole Gebbia: Der Blick auf Momentaufnahmen aus der Vergangenheit. Der Kleidungsstil, die Frisuren der Menschen, alte Sendungen wie «S Rössli Hü». Ich finde es schön, auf Dinge zu stossen, die ich zum Beispiel von meiner eigenen Mutter kenne, und in die Stimmung, den Arbeitsalltag vor allem der Pionierzeit des Fernsehens einzutauchen. Was mich ebenfalls beeindruckt: die starke Verbundenheit der Mitarbeitenden des Fernsehens untereinander.

Eva Nussbaumer: Es ist gelebte Geschichte, die man auf den Bildern sieht. Man begibt sich auf eine Zeitreise. Und es ist spannend, auf was man alles stösst.

Nicole Gebbia: Das ist das Aufregendste, zu merken: Jetzt habe ich etwas gefunden! Und die Farben zu sehen, wenn wir die Farbnegative in Positive umwandeln, ist immer wieder ein Wow-Effekt.

Eva Nussbaumer: Es ist auch schön zu wissen, dass wir mit unserer Arbeit einen Mehrwert für die nächsten Generationen, für die Gesellschaft und die Forschung schaffen.

Man hat nicht einfach drauflosfotografiert – schliesslich hatte man pro Film nur 36 Fotos zur Verfügung.
Autor: Eva Nussbaumer SRF-Bildredaktorin

Was sind die grössten Unterschiede zwischen den Archivbildern und heutigen Fotos?

Eva Nussbaumer: Bei der Qualität besteht ein grosser Unterschied. Insbesondere bei den Farbbildern bis in die 80er-Jahre ist die Auflösung nicht so gross, wie wir sie heute von der Digitalfotografie kennen. Die Bildsprache hat sich zudem sehr verändert, vor allem bei den Portraits.

Nicole Gebbia: Ausserdem musste man gut überlegen, was man auf seinem Film haben wollte, und sorgsam fotografieren. Deshalb gibt es besonders schöne und interessante Aufnahmen im Archiv.

Eva Nussbaumer: Man hat nicht einfach drauflosfotografiert – schliesslich hatte man pro Film nur 36 Fotos zur Verfügung. Natürlich gibt es trotzdem Bilder, die missglückt sind.

Nicole Gebbia: Genau: Das Handwerk ist viel stärker zu sehen als bei der digitalen Fotografie. Man konnte im Nachhinein nichts bearbeiten, nichts löschen – oder nur mit aufwändiger manueller Retouchetechnik.

Welche Bilder haben euch besonders beeindruckt?

Nicole Gebbia: Bei mir sind das Bilder aus der Arbeitswelt, etwa der Bau der Antennenanlage auf dem Hochhaus. Es sind wunderbare ungestellte Reportagefotos davon gemacht worden, wie die Handwerker dort arbeiteten. Auch die Bilder, mit denen klassische Fernsehberufe dokumentiert wurden, gefallen mir gut. Alleine schon die technischen Geräte zu sehen, die früher für das Fernsehen und Radio benutzt wurden, ist spannend.

Eva Nussbaumer: Manche Bilder sind wahre Aha-Erlebnisse: Bei einer Reportage über den Fernsehberuf Kameramann Aussenproduktion sind wir unerwartet auf die junge Sängerin Paola Del Medico und den berühmten Schauspieler Zarlie Carigiet gestossen. Diese Produktion ist einfach in Vergessenheit geraten … Unser grösster Fund sind aber die Fotos vom jungen David Bowie, der einen seiner ersten Fernsehauftritte in der Sendung «Hits à Gogo» hatte.

Perlen aus dem SRF-Fotoarchiv

Natürlich zeigen die Bilder nicht nur die rosigen Aspekte der Vergangenheit …

Eva Nussbaumer: Es ist unglaublich viel geraucht worden. Überall sind Menschen mit Zigaretten im Mund zu sehen. Auch das Rollenbild zeigt sich auf den Fotos ganz deutlich – was «Frauenberufe», was «Männerberufe» waren: Es gibt in den Anfangszeiten keine einzige Kamerafrau auf den Bildern, dafür Telefonistinnen. In den Unterhaltungssendungen wurden viele Tänzerinnen als «Dekoration» eingesetzt.

Verändert sich durch das Archivprojekt auch euer privater Umgang mit Fotos?

Nicole Gebbia: Definitiv. Ich habe jetzt alles bei mir daheim, was noch auf CD war, auf einer Festplatte gesichert. Denn auch CDs sind keine Datenträger für die Langzeitarchivierung.

Eva Nussbaumer: Für mich sind alte Fotoschätze ohnehin ein Hobby. Aber ich habe nun noch einmal gemerkt, wie essenziell es ist, möglichst viele Informationen, sprich Metadaten, zu einem Bild zu sammeln und aufzubewahren. Das ist in vielen privaten Archiven sicher ein Thema. Man denkt: «Ich weiss ja, was drauf ist.» Aber schon die Enkelkinder wissen bei den meisten Fotos nicht, wer und was abgebildet ist.

Wie digitalisiere ich Grossmutters alte Bilder?

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Einen pauschalen Tipp zur Heimdigitalisierung kann Eva Nussbaumer nicht geben, denn: «Es kommt immer darauf an, was man mit den Bildern machen möchte.» Es gibt im Handel kleine Digitalisierungsgeräte mit einem Leuchtelement und einer Führungsschiene. Damit kann man etwa auf einen USB-Stick oder eine Fotokarte digitalisieren.

Ebenfalls verfügbar sind diverse Handyapps. Das Problem hierbei laut der Bildredaktorin: «Man muss die Bilder dann noch ein wenig bearbeiten, da die Qualität auf dem Handy nicht so gut ist. Und die Fotos müssen noch heruntergeladen werden, möchte man sein Archiv nicht ausschliesslich auf dem Smartphone haben.» Mit Gratis-Programmen lassen sich zudem Metadaten erfassen und in jedes Bild integrieren.

Eva Nussbaumers Fazit: «Möchte man ein seriöseres Fotoarchiv anlegen, etwa für die Enkelkinder, würde ich eher empfehlen, ein Gerät anzuschaffen. Will man nur ab und an ein altes Bild via Handy versenden, dann genügt sicherlich eine App.»

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