Anfang Februar hat «ECO» erstmals die Auswirkungen von Corona auf die Wirtschaft behandelt. Hätten Sie damals gedacht, dass das Thema auch im September noch aktuell ist?
Reto Lipp: Das hätte ich tatsächlich nicht gedacht. Generell glaube ich, dass gerade Ökonomen sich bezüglich Länge der Krise massiv getäuscht haben. Viele haben wohl damit gerechnet, Corona würde wie eine Grippe im Sommer wieder verschwinden. Leider ist das nicht der Fall – Corona wird die Wirtschaft und unsere ganze Gesellschaft noch viel länger beschäftigen.
Auch das Swiss Economic Forum steht ganz im Zeichen von Corona. Welche Erwartungen haben Sie an den Event?
Das Swiss Economic Forum ist grundsätzlich immer ein unglaublich guter Pulsmesser, wie es um die Wirtschaft steht. Jetzt in Corona-Zeiten umso mehr. Die Unsicherheit, was Prognosen anbelangt, ist unheimlich gross. Daher ist es noch wichtiger, durch Gespräche mit Unternehmerinnen und Managern hautnah mitzubekommen, wie sie die Lage «an der Front» einschätzen. Hier bietet das SEF eine einmalige Gelegenheit, ein realistisches Stimmungsbild der Lage zu bekommen. Zudem findet das SEF erstmals in der Romandie statt – von daher werden auch die Stimmen aus der Westschweizer stärker zu hören sein.
Das SEF bietet eine einmalige Gelegenheit, ein realistisches Stimmungsbild der Lage zu bekommen.
Das SEF geht unter anderem mit Temperaturmessen, Indoor-Tracking und weiteren Massnahmen über die minimal geforderten Schutzmassnahmen hinaus. Können Sie schon abschätzen, wie sich das auf Ihre Arbeit vor Ort auswirken wird?
Das ist für mich der erste Grossanlass seit sechs Monaten – und ich bin sehr froh, dass er überhaupt durchgeführt werden kann, auch wenn wir uns erst an die Massnahmen gewöhnen müssen, die zweifellos notwendig sind. Die Gesundheit geht vor. Es ist nicht immer angenehm, aber wir werden uns arrangieren.
Auf welche SEF-Redner sind Sie besonders gespannt?
Auf den französischen Ex-Präsidenten François Hollande, da ich die französische Politik schon immer stark verfolgt habe. Er hatte in seiner Heimat oft eine schlechte Presse. Ich bin gespannt, wie er sich drei Jahre nach dem Ende seines Mandats äussert – vielleicht auch zur Politik seines Nachfolgers, der einst sein Wirtschaftsminister war. Daneben sind natürlich weitere spannende Unternehmer und Manager anwesend – wie etwa Nestlé-Präsident Paul Bulcke, der Online-Pionier Roland Brack, Piaget-Chefin Chabi Nouri, Ems-Chefin Magdalena Martullo-Blocher und viele mehr. Interessant in Corona-Zeiten wird auch der Auftritt des bekannten österreichischen Genetikers Markus Hengstschläger sein.
Ein echtes Gespräch geht häufig weitaus tiefer als ein Kurzinterview oder ein knappes Statement in einem Beitrag.
Sie werden im «ECO»-Studio vor Ort verschiedene SEF-Gäste zum Gespräch empfangen. Und wie SRF letzte Woche bekanntgab, werden Sie ab Mitte 2021 anstelle des heutigen TV-Magazins «ECO» einen neuen Wirtschaftstalk moderieren. Ganz generell: Was sind die Vorteile und Chancen für das Publikum, wenn man Wirtschaftsthemen mit Fachleuten in einem Talk behandelt?
Der Vorteil ist sicher, dass beide Seiten sehr spontan sein können und es immer die Chance gibt, dass sich ein echtes Gespräch entwickelt, das dann häufig weitaus tiefer geht als ein Kurzinterview oder ein knappes Statement in einem Beitrag. In einem Talk kann ich als Moderator sicher auch stärker den Menschen hinter der Funktion beleuchten. Denn Wirtschaft, das sind letztlich immer Menschen. Die Funktion ist das eine, der Mensch dahinter oft etwas ganz anderes.
Unabhängig vom SEF und von «ECO»: Mit welcher Persönlichkeit würden Sie aktuell gerne über die Auswirkungen der Coronakrise auf die Weltwirtschaft diskutieren?
Ich würde gerne wieder ein Interview mit Boris Johnson, dem englischen Premier, führen. Ich hatte ihn am WEF schon einmal vor dem Mikrofon. Es war ein sehr amüsantes, lockeres Interview mit viel Unernst. Ich würde von ihm gerne erfahren, wie Corona ihn persönlich und seine Sicht auf die Welt verändert hat.