Wann und wie sind Sie politisiert worden?
Susanne Wille: Ich bin mit leidenschaftlichen Politikern aufgewachsen. Mein Grossvater und mein Vater engagierten sich beide mit Herzblut in der Gemeinde und im Kanton. Am Familientisch wurde immer lebhaft debattiert. Mein Vater zeigte mir, wie das gleiche politische Ereignis in unterschiedlichen Zeitungen anders eingeordnet wird. Er legte Wert darauf, dass wir eine eigene Meinung haben. Eigentlich politisiert hat mich letztlich die Nichtwahl von Liliane Uchtenhagen in den Bundesrat. Damals wie heute finde ich, es braucht mehr Frauen in der Politik.
Wie erleben Sie in ihrer täglichen Arbeit das politische Interesse von jungen Menschen?
Gerade auf Social Media bekomme ich mit, wie viele junge Menschen an politischen Inhalten interessiert sind. Sie schätzen es zum Beispiel, wenn ich auf Twitter oder Instagram auch zeige, was vor einem Politinterview passiert oder wenn ich ihnen einen Blick hinter die Kulissen gebe. Sie wollen – ich denke noch mehr, als das bei mir selber früher der Fall war – wissen, wie Politjournalismus funktioniert.
Ist das geringe Interesse der Jugend an Politik ein Schweizer Phänomen?
Ich glaube überhaupt nicht, dass die Jugendlichen grundsätzlich ein geringes politisches Interesse haben. Im Gegenteil. Die Schweiz ist sogar ein Sonderfall in Sachen Demokratievertrauen. Das zeigt auch der «easyvote-Politikmonitor» des Dachverbands «Schweizer Jugendparlament». Auf die Frage, ob Politik einen grossen Nutzen für die Zukunft des Landes habe, stimmen knapp drei Viertel zu oder eher zu. Knapp die Hälfte ist eher oder sehr an der Schweizer Politik interessiert. Zum Vergleich: Eine Umfrage der französischen Zeitung «Le Monde» ergab, dass für die jungen Menschen die Demokratie nicht mehr die allein glücklich machende Staatsform zu sein scheint. Fast die Hälfte gab an, andere Staatsformen seien genauso gut. Ich musste das zwei Mal lesen. Hier sind wir in der Schweiz weit davon entfernt.
Wie weit entfernt?
Zufrieden sein dürfen auch wir nicht. Zwei Drittel der jungen Menschen bleiben den Urnen in der Schweiz fern. Das geht besser. Das ist die Aufgabe der Gesellschaft und ja, auch der Medien. Ich glaube, dass wir Medienschaffenden mehr dafür tun müssen, damit wir mit unseren Politinhalten die Jungen auch ansprechen. Und die Gesellschaft muss mehr dafür tun, dass das politische Interesse auch in die politische Partizipation übergeht.
Wie kann dies erreicht werden?
Es braucht eine kraftvolle Offensive für mehr politische Beteiligung bei den Jungen. Jungbürgerfeiern, Staatskundeunterricht, Besuche im Bundeshaus sind wichtig. Politinhalte medial attraktiv für Instagram und andere Kanäle aufzubereiten ist ebenfalls richtig. Aber es ist nicht ausreichend. Es wird viel doziert, gelehrt, gesendet. Aber wir hören alle noch zu wenig zu. Alles keine neuen Erkenntnisse, ich weiss. Aber solange hier Handlungsbedarf besteht, wiederhole ich sie gerne.
Deshalb das Medienforum? Was erhoffen Sie sich davon?
Ich erhoffe mir schonungslose Ehrlichkeit. Die Jungen sollen uns sagen, was wir besser machen können und müssen. Sie sind die Zukunft der Demokratie. SRF hat als öffentliches Medienhaus die Aufgabe, in diesem Land zur Meinungsbildung beizutragen. Also müssen wir genau wissen, wo und wie diese Meinungen gebildet werden und wie wir uns auch verändern müssen. Ich erhoffe mir also freche Vorschläge, direkte Kritik, gemeinsames Pläneschmieden und ein Treffen, das über den Tag hinaus Wirkung zeigt. Übrigens hat sich mit dem grossen Interesse und den vielen Anmeldungen fürs Forum bei mir bereits eine Hoffnung erfüllt.