Es bleibt zu vermuten, dass der «Corona-Lockdown» der freien Hörspielszene eher Auftrieb verschafft als dass er schadet – finanziell zwar sicher nicht, dafür intellektuell umso mehr. Diese Künstlerinnen, Hörspielmachenden, Freaks und Tüftler arbeiten schon immer vorrangig daheim: in kleinen, oft improvisierten Studios. Am Küchentisch und im Kleiderschrank entstehen ihre Kunstwerke, die jedes Jahr mit ihrer Farbe, ihrem Witz und ihrem Mut die Hörspielwelt bereichern.
Das Gewinnerstück «Re:Produktion» von Vivien Schütz und Stefanie Heim
Zwei Freundinnen im intimen Gespräch – übers Kinderkriegen. Oder eben nicht. Geführt via Sprachnachrichten über 6000km und sechs Stunden Zeitverschiebung hinweg.
«RE-Produktion» ist ein Hörspiel, das die inszenatorischen Mittel konsequent aus seiner formalen Setzung ableitet und dramaturgisch klug einsetzt. So klug, dass man sie nie als bloßen Effekt, sondern immer als plausibles Mittel für die Erzählung der Geschichte wahrnimmt. Es erzählt vom Versuch eines offenen und ehrlichen Gespräches über reproduktive Selbstbestimmung. Ein Gespräch das in unserer Gesellschaft paradoxerweise einerseits schon ganz selbstverständlich und andererseits doch noch außergewöhnlich erscheint.
«es gibt diese namen / es gibt diese wut» vom Kollektiv HALM
Das erste Hörspiel von LiteraturstudentInnen aus Österreich hats in sich: der Sexismus im Literaturbetrieb wird angeprangert.
über die ansprüche, die an frauen* und männer* gestellt werden. über das opfer-werden und opfer-sein-müssen. über täter*innen und stakeholder. über die seile der vernetzung und abbindung. über misyognye aussagen, die wir selber hören mussten. über geteilte wut.über das sagen-können und benennen. über das hilflos und verletzt sein. über den druck eines betriebs, der die kunst stützen und nicht den markt nähren sollte. über einen literaturbetrieb, in dem die figur von autor*innen noch eine rolle spielt. über verlage und verleger*innen und deren hände, auf deiner taille. was wir sagen wollten.
«Flimmern, Schimmern, Dämmern» von Josephine Fabian, Sandra Pohl und Marian Joel Küster
Ein braingestormtes Ereignishörspiel, entstanden aus Fraktalen.
Der 30. November der Menschheitsgeschichte steht unter dem Vorzeichen des zivilen Ungehorsams: in biblischen Zeiten sind an diesem Tag die Hebammen gegen den Pharao aufgestanden und Rosa Parks hat sich 1955 geweigert, ihren Platz im Bus zu räumen. Die Hörcollage arbeitet mit Textteilen und Musikstücken, die diese Vorfälle umkreisen – und fragt sich: welche Auswirkungen wird all dies wohl auf den 1. Dezember haben?
«Ettingers Tochter» von Maximilian Kaufmann
Im Cryonics Institut kann meinen seinen toten Körper schockgefrieren lassen – um ihn für eine unbestimmte Zeit zu konservieren. Um irgendwann in der Zukunft wieder aufwachen und weiterleben zu können.
In Maximilian Kaufmanns Hörspiel reist ein fünfzehnjähriges, todkrankes Mädchen mit ihren Eltern zu diesem Institut. Ihre letzten Reise hält sie in einem Audiotagebuch fest.
«Die Grausamkeit des vermeintlichen Wohlwollens» von Simone Halder
Und plötzlich hat man einen Pflegefall in der Familie … die Reaktionen des Umfeldes sind dabei oft schwerer zu ertragen als die Krankheit selbst ...
Simone Halders Mutter starb im Sommer 2020. Nach einem schweren Schlaganfall hatte sie immer wieder Halluzinationen von sich in einem Walfisch oder in einem «BMW Vorführraum» – immer begleitet von James Bond. In dieser mit O-Tönen und mit bitterem Humor versetzt Collage, schildert die PiNball-Gewinnerin des Vorjahres Eindrücke aus dem Krankheitsalltag und versucht, der persönlichen Betroffenheit Ausdruck zu verleihen.