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Alpenflora Überlebenskünstler der Höhe – ihre Vielfalt unter Druck

Im Berggebiet ist die Pflanzen-Vielfalt gross. Es herrschen dort Extremsituationen, an die es sich anzupassen gilt. Durch den wachsenden Einfluss des Menschen gerät diese Vielfalt, die sich über Jahrmillionen entwickelt hat, immer mehr unter Druck.

Stefan Eggenberg, Direktor von Info Flora

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Stefan Eggenberg ist Botaniker und Direktor des nationalen Daten- und Informationszentrums der Schweizer Flora infoflora.ch und hat für diesen Artikel das nötige Fachwissen beigesteuert.

Überlebenskünstler in der Höhe

Jede Bergbewohnerin und jeder Wanderer weiss: In der Höhe sind die Lebensbedingungen extremer als im Tal. Dies gilt nicht nur für uns Menschen, sondern auch für die Flora. Längere Winter, heftigere Gewitter, geringere Bodenfruchtbarkeit und raues Klima. Mit solch erschwerten Bedingungen müssen alpine Arten umzugehen wissen – denn anders als wir Menschen sind sie an ihren Standort gebunden.

Um in Bergregionen überleben zu können, haben Pflanzen verschiedenste Strategien entwickelt. Die Alpenflora ist geprägt von sogenannten Spezialisten, die sich an Extremsituationen wie kurze Vegetationszeiten, Nährstoffknappheit oder Frost angepasst haben.

Stängelloser Enzian
Legende: Stängelloser Enzian Mit seinen grossen Blüten versucht der Enzian Insekten anzulocken. Er ist auf magere Böden angewiesen und kann sich bei Nährstoffzufuhr nicht gegen konkurrenzstärkere Arten durchsetzen. SRF / Angela Wagner

Viele Alpenblumen fallen auf durch ihre grossen Blüten. Auch dies ist eine Anpassung an die Lebensbedingungen in der Höhe. Kürzere Sommer und eine kleinere Menge an Bestäubern erhöhen den Druck, Insekten anzulocken. Nicht selten entwickeln alpine Arten deshalb grössere Blüten als ihre Schwestern-Arten im Tal.

Grosse Biodiversität in Berggebieten

Es klingt paradox: Trotz erschwerten Lebensbedingungen ist die Vielfalt in den Alpen - bis zu einer bestimmten Höhe - grösser als im Flachland. Der Grund dafür ist kein natürlicher. Aufgrund intensiver Nutzung der Landschaft nimmt die Biodiversität im Flachland seit vielen Jahren ab. Im Berggebiet ist die Intensivierung weniger weit fortgeschritten und stellt für die Artenvielfalt deshalb ein kleineres Problem dar als in tieferen Lagen: Die grösste Vielfalt hat sich vom Tal in die Höhe verschoben.

Bedrohte Vielfalt durch Überdüngung

Doch auch Bergregionen werden durch bessere Erschliessung immer mehr genutzt, wodurch die Biodiversität auch in den Alpen tendenziell abnimmt. Wo früher noch von Hand gearbeitet werden musste, kann das Gelände heute an immer mehr Orten mit dem Traktor befahren werden, was eine flächendeckende Düngung ermöglicht. Gedüngte Alpweiden steigern zwar die Milchproduktion, die Biodiversität jedoch leidet.

Werden dem Boden durch Düngung mehr Nährstoffe zugefügt, wirkt sich dies negativ auf die Spezialisten unter den Pflanzen aus. Auf nährstoffreichen Böden nehmen einige wenige konkurrenzstarke Arten Überhand. Die Spezialisten können sich nicht gegen diese durchsetzen und werden verdrängt. Denn anders als auf Dominanz in Konkurrenzsituationen hat sich eine Mehrheit der Arten auf das Aushalten von Extremsituationen spezialisiert.

Positive Effekte dank extensiver Nutzung

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Die menschliche Nutzung wirkt sich nicht nur schlecht aus auf die Artenvielfalt. Durch eine extensive Nutzung kann die Biodiversität sogar erhöht werden. Ein Beispiel ist die extensive Beweidung von Alpweiden. Diese ist nicht per se eine unnatürliche Störung.

Auch ohne menschliche Eingriffe entstehen unterhalb der Waldgrenze offene Stellen, beispielsweise durch die Beweidung durch Wildtiere wie Hirsche und Gämsen, durch Waldbrände oder Lawinen. Auf diesen waldfreien und somit sonnigen Flächen steigt die Artenvielfalt.

Waldbrände, Lawinen oder auch Befälle von Borkenkäfer werden weitgehend vom Menschen verhindert. Die extensive Beweidung sowie das Freihalten von Flächen können hier einen Ausgleich schaffen. Doch der Grat zwischen Unter- und Übernutzung ist schmal.

Klimaerwärmung schafft neue Verhältnisse

Zum Problem der Übernutzung und Überdüngung kommt ein weiterer biodiversitätshemmender Faktor hinzu: die Klimaerwärmung. Wird das Klima in höheren Lagen milder, verschiebt sich der Lebensraum mancher Arten in die Höhe. In Höhen, die früher den Spezialisten vorbehalten waren, führen die steigenden Temperaturen dazu, dass die wärmeliebenden, konkurrenzstarken Pflanzen weiter nach oben ziehen. Einige Spezialisten kommen mit diesen neuen Nachbarn nicht zurecht, denn sie nehmen ihnen den Platz und das Licht.

Gämswurz
Legende: Gämswurz Diese Art ist auf Pionierstandorte angewiesen, ist aber noch nicht gefährdet. Sie profitieren teilweise vom Rückgang der Gletscher. Dies ist ein Beispiel dafür, dass der Klimawandel der Biodiversität einerseits schadet, andererseits aber auch für manche Arten Ausweichmöglichkeiten schafft. SRF / Angela Wagner

Nicht für alle Arten stellt die Klimaerwärmung eine Bedrohung dar. Manche Arten profitieren insofern davon, dass sich ihr Verbreitungsgebiet vergrössert. Es gibt auch Gewinner unter den Pflanzen – doch die Verlierer sind in der Überzahl und so nimmt die Biodiversität stetig ab.

Handlungsbedarf und Schutz unserer Alpenflora

Rund 12% der Gebirgsrasen-Arten gelten als bedroht und stehen unter Schutz. Zum Vergleich: Über alle Arten gerechnet gelten 28% der Arten in der Schweiz als bedroht. In den Alpen steht es vergleichsweise gut um die Biodiversität. Aufgrund von Trends wie Übernutzung oder Klimaerwärmung gibt es trotzdem Handlungsbedarf. Wie sich diese Entwicklungen in Zukunft auf die Biodiversität in den Alpen auswirken wird, kann noch nicht quantifiziert werden.

Selbst aktiv werden

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  • Freiwilligen-Einsätze von Stiftung Umweltschutz in schützenswerten Gebieten.
  • Bedrohte Arten nicht Pflücken.
  • Wanderwege nicht verlassen.

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