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Reisegeschichten Die Heldin der Tunesischen Revolution

Lina Ben Mhenni war eine der Heldinnen des arabischen Frühlings, der 2011 zum Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali führte. Heute lebt die Bloggerin gefährlicher als vor der Revolution. Islamisten bedrohen die Demokratie und alte Seilschaften von Ben Ali versuchen wieder an Macht zu gewinnen.

Lina Ben Mhenni ist eine kleine Berühmtheit. Sie wurde sogar schon für den Friedensnobelpreis gehandelt. Das macht ihr Leben nicht eben einfacher. Als ich sie im letzten Frühling für unsere Dreharbeiten traf, war ich von ihr und ihrem Leben sehr beeindruckt. Wenn sie ihre Wohnung verlässt, ist sie nie alleine, immer begleitet sie ein Leibwächter. Zwar werden die Polizisten vom Ministerium gestellt, aber ihre Professionalität scheint mir nicht über alle Zweifel erhaben. Keiner inspiziert das Restaurant, bevor wir es gemeinsam betreten. Brav trotten sie hinter Lina her. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn ihr jemand auflauern würde. Mit manchen Leibwächtern ist Lina fast familiär verbunden. Wenn sie ins Ausland geht, bringt sie ihnen kleine Geschenke mit. Und sie diskutiert unentwegt mit ihnen, anders kann sie gar nicht. Manche Polizisten haben begonnen, ihre Heimat Tunesien mit anderen Augen zu betrachten.

Unterwegs mit Leibwächtern

Lina Ben Mhenni
Legende: Lina Ben Mhenni wird von ihrem Leibwächter begleitet. SRF

Der Personenschutz wurde über Nacht nötig. Linas Vater Sadok Ben Mhenni entdeckte vor seinem Haus einen Killer, versteckt hinter einer Palme, konnte ihn aber vertreiben. Lina wohnte damals noch bei den Eltern, in dem Haus am Meer, wo in den letzten Monaten von Ben Alis Regentschaft konspirative Treffen stattfanden und Aktionen des zivilen Ungehorsams geplant wurden. Tage später gab der Innenminister offiziell bekannt, dass ein Anschlagsplan islamistischer Extremisten aufgeflogen sei. Selbstbewusste, mutig auftretende Frauen sind für diese, nebst linken Politikern, das zweite Ziel ihrer Attacken.

Später zog Lina in eine Wohnung im Süden von Tunis, laut Vater Sadok vielleicht auch in der Absicht, ihn und Linas Mutter keiner Gefahr auszusetzen. Als wir sie besuchen, ist sie aufgelöst: Ein islamistischer Fernsehsender hat in einen Bericht eine Sequenz eingearbeitet, in der sie sich für die Rechte von Homosexuellen ausspricht - eine Provokation in diesem Land. Ob sich hinter dem Bericht ein geheimer Aufruf zu einem Angriff versteckt? Wie kann man das schon so genau wissen und wie sollen die Nerven nicht ab und zu durchgehen, wenn man seit Jahren täglich beschimpft wird?

Lina Ben Mhenni
Legende: Lina Ben Mhenni ist immer auf Sendung. SRF

Die 33-jährige ist keine Frau, die sich schont. Sie schläft nur wenig Stunden täglich, beginnt frühmorgens über ihre Accounts Nachrichten zu aktuellen Themen zu verbreiten, schreibt Kommentare, bringt Menschen zusammen. Cyberaktivistin ist die Bezeichnung für diese Tätigkeit, daneben unterrichtet sie an der Universität Englisch und verfasst Übersetzungen. Offensichtlich lebt sie intensiv mit ihren beiden Katzen zusammen, die sie von einem Raum in den nächsten begleiten und mit denen die starke Frau sich sanftmütig zeigt.

Das Familienerbe

Ihr Vater Sadok ist selbst ein Pionier der tunesischen Zivilgesellschaft. Unter Diktator Bourghiba war er als Angehöriger einer linken Splittergruppe jahrelang im Gefängnis. Dort, sagt er, habe er seine wahre Universität gefunden und mehr gelernt als irgendwo sonst. Später war er einer der Gründer von Amnesty International Tunesien. Auch Sadok Ben Mhenni ist enttäuscht über die Jahre, die der Revolution gefolgt sind. Die Kommission zur Bekämpfung der Korruption hat er wieder verlassen, dort gebe es keinen wirklichen Willen, Missstände aufzudecken.

Resigniert oder auch nur niedergeschlagen sind die Ben Mhennis dennoch nicht, das ist nicht ihre Art. Sie sind Kämpfer auf allen Ebenen. Mit elf Jahren erkrankte Lina schwer, blieb lange ans Bett gebunden. In dieser Zeit, sagt sie, lernte sie geduldig zu sein. Später bekam sie täglich eine Dialyse und noch etwas später wurde ihr eine Niere von ihrer Mutter Mina eingesetzt.

Fast könnte man die Mutter übersehen, neben der brillanten, extravaganten Tochter und dem lebenserfahrenen Gatten, aber das wäre falsch. Als wir uns im Familienhaus in Djerba zum Essen treffen und ich sehe, wie vehement sie den Abend schmeisst, habe ich den Eindruck, Mina sei das eigentliche Zentrum der Familie. Nicht nur, weil sie Tochter Lina das Leben zwei Mal geschenkt hat: Einmal bei der Geburt und dann, als sie ihr eine Niere gespendet hat. Die Ben Mhennis - zusammen sind sie stark.

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