Starke Frauen als Vorbild
Jeder junge Mensch hat Idole, denen er nacheifert. Der Somalier Farah Abdi ist in seinen Träumen eine Kombination aus drei einzigartigen Frauen. Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey verehrt er, weil sie allen ihre Meinung sagen kann. Kenias somalisch-stämmige Aussenministerin Amina Mohamed bewundert er, weil sie mit vielen weiblichen Stereotypen gebrochen hat und schon viele internationale politische Organisationen leitete. Reality-TV Star Kim Kardashian liebt er für ihre Selbstvermarktung und ihr glamouröses Leben. In die Fussstapfen dieser drei Frauen würde Farah gerne treten. Er glaubt heute fest daran, dass ihm das auch gelingen wird und er seine Träume verwirklichen kann. Das war nicht immer so.
Der Fluchtentscheid
Farah Abdi wuchs in Nairobi auf. Seine Familie gehörte zum Mittelstand. Es schien ihm an nichts zu fehlen. Doch bereits als Kind merkte er, dass er anders war. Er hätte lieber mit Mädchen gespielt und es hätte ihn gereizt pinke Kleider zu tragen. Homosexualität ist in Kenia strafbar. Mit sechzehn entschloss er sich zur Flucht, verliess seine Mutter und den kleinen Bruder. In breiten Shorts verdeckte er seine weiblich wirkenden Hüften. Zwölf Tage Wüste, sieben Monate libysche Gefängnisse, 12‘000 Dollar ärmer und mehrere Fluchtversuche später, erreichte er als Bootsflüchtling Malta. Das Land kannte er nur, weil eine Kandidatin an den Miss World Wahlen teilgenommen hatte. Hier begann für ihn ein neues Leben.
Eine Mitarbeiterin der Migrationsbehörde merkte, dass er Mühe hatte, über seine Homosexualität zu sprechen. Im Flüchtlingsheim für unbegleitete, minderjährige Asylsuchende empfahl ihm ein Psychologe seine Gedanken niederzuschreiben. Es war der Grundstein der Autobiographie des mittlerweile Zwanzigjährigen, die in Kürze gedruckt wird. Die Flucht ist nur eines von vielen Kapiteln. Er möchte nicht darauf reduziert werden, es stören ihn die Stereotypen des armen und bemitleidenswerten Bootsflüchtlings.
Stimme der Migranten
Farah engagiert sich bei verschiedenen Nichtregierungsorganisationen. Er prangert Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen an und kämpft für die Rechte von Migranten und Homosexuellen. Er bloggt für eine Maltesische Zeitung und wurde dank seinen guten Englisch-Kenntnissen zu einem Sprachrohr für viele Migranten auf Malta. Er konnte sich in Brüssel mit europäischen Parlamentariern treffen und hielt Reden bei den Vereinten Nationen in Genf.
Ganz nebenbei, so scheint es, holt er das Abitur nach, um später internationale Beziehungen zu studieren. Zudem arbeitet er als Übersetzer für die Migrationsbehörde und geht am Wochenende in einem Restaurant Teller waschen. Das zusätzliche Geld kann er gut brauchen. Denn in Malta darf er endlich sein, wer er ist. Er kann heute ein ganz normaler, junger, homosexueller Mann sein. Seine liebste Freizeitbeschäftigung ist Shopping. Farah Abdi geht seinen Weg und hat sich schon jetzt von seinen weiblichen Idolen einen Teil abschneiden können.
Für sein Engagement für die Rechte von Flüchtlingen in Europa wurde Farah Abdi Ende November mit dem Bremer Friedenspreis ausgezeichnet. An die Zeremonie luden die Veranstalter auch seinen jüngeren Bruder aus Nairobi ein. Nach über drei Jahren wäre das für die Geschwister die erste Möglichkeit gewesen, sich wieder in die Arme nehmen zu können. Doch die deutsche Botschaft in Nairobi verwehrte dem jüngeren Bruder das Visum für die Flugreise, so wie auch Farah Abdis Anträge an europäische Botschaften vor der Flucht abgelehnt worden waren.