Ich kann mich noch gut an letzten Freitag erinnern, als ich hier in der Unterkunft mein Eintrittsgespräch hatte. Den allergrössten Respekt hatte ich davor, mit 12 Franken pro Tag auszukommen, wie es bei den Asylsuchenden hier üblich ist. Für die gesamte Woche habe ich 84 Franken erhalten. Heute nun habe ich noch zusätzlich 40 Franken erhalten für meinen Arbeitseinsatz am Montag. Mittlerweile kann ich aufatmen: Ich besitze Stand heute mehr als beim Eintritt: nämlich genau 87.85 Franken.*
Dies hat zwei Gründe. Erstens ist es unmöglich für mich zu simulieren, wie es sein muss, mit diesem Geld auszukommen. Bei meinem Eintritt besass ich nämlich bereits ein Handy, einen Mobilfunkvertrag, alle notwendigen Kleider für diese Woche sowie Hygieneartikel – all dies müsste ich als Asylsuchender erst noch kaufen. Der zweite Grund ist der riesengrossen Grosszügigkeit meiner Mitbewohner zu finden: Wie gestern beschrieben durfte ich fast jeden Tag irgendwo mitessen, musste wenig dafür beisteuern von meinen Lebensmitteln, die ich am ersten Tag gekauft hatte. Ich plane deshalb, morgen bei meinem Auszug den Restbetrag unter diesen guten Seelen zu verteilen, die mich sprichwörtlich durch diese Woche gefüttert haben.
Was ein Asylsuchender bekommt
Trotz gescheitertem Experiment: Ich machte es diese Woche zu meiner Mission herauszufinden, wofür meine Mitbewohner ihr Geld ausgeben. Und, was sie sich überhaupt leisten können. Denn so häufig hört man in der Schweizer Bevölkerung beispielsweise die Frage, wie es denn möglich sei, dass sich Asylsuchende die teuersten Handys leisten können.
Zuerst eine Auflistung, wieviel Geld meine Mitbewohner erhalten:
- 12 Franken pro Tag fixe Grundpauschale (bei wiederholten Abwesenheiten in der Schule oder sonstigen Verstössen kann ein Strafbetrag abgezogen werden)
- Bis zu 25 Franken für eine Woche freiwilliger täglicher Putzarbeit in der Unterkunft
40 Franken für einen freiwilligen externen Tageseinsatz bei gemeinnütziger Arbeit
Da die Arbeitseinsätze begehrt sind, kommen meine Mitbewohner nicht immer zum Zuge.
Wer sich freiwillig engagiert, kommt auf ein durchschnittliches Einkommen von rund 420 Franken pro Monat , teilte mir ein Verantwortlicher der Unterkunft mit. Der Betrag kann variieren, beispielsweise in den Sommermonaten, wo mehr Freiwilligen-Einsätze geleistet werden können.
Bezahlen müssen die Asylsuchenden davon das Essen und die gesamten Haushaltskosten. Dazu gehören zum Beispiel Kleider, Hygieneartikel, Waschmittel oder Küchenutensilien, die über Pfannen, Geschirr und Besteck hinausgehen. Auch der öffentliche Verkehr wird selbst berappt, es sei denn, die Asylsuchenden müssen mit dem Zug in die Sprachschule oder zur Arbeit. Dann bekommen sie während dieser Zeit das Zonen-Abo für die Strecke.
Die Krankenkasse mit Selbstbehalt und Franchise übernimmt der Staat. Nicht rezeptpflichtige Medikamente wie Nasenspray oder Schmerztabletten werden nach Konsultation im Unterkunftsbüro von der Betreiberorganisation ORS abgegeben.
Handys, Kleider und Zigaretten
Auf meine Frage, ob ein Betrag angespart werde, reagierten meine Mitbewohner meist etwas erstaunt. Bei ihnen scheinen Sparen und genaues Budgetieren nicht zur obersten Priorität zu gehören. Das monatlich erhaltene Geld geben sie nach Gutdünken aus, auch mal für grössere Posten. Und ich habe den Eindruck, die meisten kommen so ziemlich gut durch, geraten also nicht in arge Nöte. Sehr effizient ist der Kauf von Nahrungsmitteln. Viele Asylbewerber tun sich zusammen, kaufen grössere Mengen an Esswaren in Billig-Discountern und kochen dann auch gemeinsam. Auch den Besuch beim Coiffeur sparen sich hier viele, stattdessen schneiden sie sich die Haare gegenseitig in der Unterkunft. Dadurch haben die Asylsuchenden durchaus ab und zu auch die Möglichkeit, sogenannte «Luxus-Artikel» zu kaufen, also Dinge, die nicht unbedingt zum Leben benötigt werden aber glücklich machen.
Bei den Handys stimmt das Klischee, dass Asylbewerber die allerneusten und teuersten Geräte besitzen, in meiner Erfahrung nicht. Meine Mitbewohner besitzen meistens Mittelklasse-Smartphones im Preisbereich von rund 300 Franken. Hier legen die Bewohner die Prioritäten je nachdem anders. Es gibt solche, die schon seit zwei Jahren ein Smartphone mit total zerbrochenem Display erdulden. Andere geben etwas mehr dafür aus. Das sind meistens diejenigen, die täglich mehrere Stunden Video auf ihrem Smartphone konsumieren. Bei den Handy-Anbietern setzen sie auf Billig-Angebote im Prepaid-Bereich. Viele besitzen ein Angebot für 14 Franken pro Monat, wo 5GB mobile Daten und einige Telefonminuten für Anrufe in ihr Heimatland inkludiert sind. Damit können sie unterwegs durchaus auch surfen und telefonieren, datenintensive Dienste über längere Zeiten nützen sie aber nur per WLAN.
Viele meiner Mitbewohner legen Wert darauf, modisch angezogen zu sein und setzen deshalb unter anderem auf Markenkleider . Dafür investieren sie beispielsweise auch mal 150 Franken für ein paar Schuhe. Einen Schaft voll mit Schuhen oder teuren Kleidern fand ich aber nirgends vor. Meist wird das teure Paar Schuhe, die spezielle Jeans-Hose oder das Hemd gehegt und gepflegt. Sie achten darauf, die Kleider erst dann zu kaufen, wenn es einen Rabatt darauf gibt. Hier in Düdingen gibt es auch einen Raum mit Gratis-Kleidern, wo sich die Asylsuchenden auf Wunsch bedienen können. Dies tun sie ab und zu auch. Das Problem sei aber, dass viele Kleider in Übergrössen abgegeben würden und nicht in den Grössen S und M, sagen meine Mitbewohner. Ein Asylsuchender meinte auch, das seien Kleider «für alte Leute», die wolle er nicht anziehen.
Für den öffentlichen Verkehr leisten sich fast alle unter 25jährigen Asylsuchenden das Gleis 7 für jährlich 129 Franken. Damit können sie ab 19.00 Uhr abends kostenlos Zug fahren. Besuche von Kollegen in entfernten Städten legen sie darum meist auf den Abend. Zudem besitzen viele zusätzlich das Halbtax-Abo für jährlich 165 Franken. Das lohnt sich für die Asylsuchenden, denn eine Einzelfahrt nach Fribourg kostet regulär 5.20 Franken. Die älteren Asylsuchenden nützen den Zug seltener, vor allem weite Strecken können sie sich häufig nicht leisten.
Zigaretten sind ebenfalls ein grosser Budgetposten, denn viele meiner Mitbewohner rauchen – auch wenn sie dabei auf keinen Fall fotografiert werden wollen. Zigarettenpäckchen leistet sich hier praktisch niemand, das sei zu teuer. Stattdessen kaufen sie Tabak, Filter und Papierchen und drehen die Zigaretten selbst.
Mein Fazit nach knapp einer Woche: Ich finde, meine Mitbewohner haben das Nötigste zum leben und können sich auch ab und zu etwas Schönes leisten. Sie legen teilweise grossen Wert auf modische Kleidung, aber sie sind sich auch nicht zu schade, sich gegenseitig die Haare selbst zu schneiden. Ich finde nicht, dass sie am Hungertuch nagen. Aber sie schwimmen definitiv auch nicht im Luxus, müssen viele Abstriche machen. Denn man darf nicht vergessen, dass ihnen unsere Luxus-Welt tagtäglich wie ein Speckstreifen durch den Mund gezogen wird. Für viele Schweizer alltägliche Dinge wie Generalabonnements, Kreditkarten-Dienste oder teure Notebooks bleiben für sie unerreichbar.
Und was heute sonst noch so lief:
- Am Morgen besuchte ich einen Anfänger-Sprachkurs für Asylsuchende in Fribourg. Auffällig waren für mich die Niveauunterschiede zwischen den Schülern. Einige kommen schnell voran, andere hängen ab und schaffen es fast nicht, dem Unterricht folgen zu können
- Die Betreiberorganisation organisierte am Nachmittag einen freiwilligen Ausflug in die Magdalena-Einsiedelei in Räsch mit anschliessendem Picknick im Wald
- Mitgekommen sind acht meiner Mitbewohner, also rund ein Drittel der Unterkunft. Das sei meistens so, liess ich mir sagen. Es gibt etliche Asylsuchende, die sich vom Betrieb ziemlich abkapseln.
- Als Gruppe genossen wir das wunderschöne Wetter und spielten im Wald Frisbee und Volleyball. Ich wähnte mich zurück bei den Pfadfindern.
* Für Simon Hutmacher übernimmt SRF den täglichen Unterstützungsbeitrag von 12 Franken und den Lohn für die gemeinnützige Arbeit.