Teilweise reagieren meine Mitbewohner schon fast etwas mit Unverständnis, warum ich sie denn nun schon wieder verlasse. Ich kann es ihnen nicht verübeln, ich verlasse ihr unbestimmtes Leben und kehre zurück in eine komplett andere Welt mit klaren Perspektiven. Ich hatte zu rund zehn Personen diese Woche einen engen Draht und habe diese Mitbewohner wirklich in mein Herz geschlossen. Ich habe gelernt, dass diese Leute sehr grosszügig, gastfreundlich und hilfsbereit sind.
Gleichzeitig habe ich aber längst nicht zu allen Bewohnern den Zugang gefunden. Viele sind mir lieber aus dem Weg gegangen, können die Sprache überhaupt nicht oder befinden sich sowieso fast nie für eine längere Zeit in der Unterkunft. Mir wurde bewusst, dass die Bandbreite an unterschiedlichen Persönlichkeiten unter den Asylsuchenden riesig ist und dies in so vielen Bereichen. Es gibt Leute, welche Deutsch enorm schnell lernen, andere waren noch gar nie in einer Schule und werden im Kurs völlig abgehängt. Einige Leute sind offen und unternehmenslustig, andere sind lieber in sich gekehrt und wollen mit dem Betrieb des Zentrums möglichst wenig zu tun haben.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es irgendwann zu einem Wiedersehen mit einigen meiner Mitbewohner kommt. Da sie durch die neuen Medien bestens vernetzt sind, ist das Kontakthalten nicht schwierig. Nach dem Selbstversuch bin ich mit meiner Energie aber auch ziemlich am Ende, unter anderem deshalb, weil ich wegen den vielen Störeinflüssen zu sehr wenig Schlaf gekommen bin. Ich kann mir deshalb nur sehr schwer vorstellen, in dieser Unterkunft über ein Jahr zu leben, wie es einige Asylsuchende tun. Und dabei in dieser Zeit initiativ zu bleiben, aktiv Deutsch zu lernen, Kontakt zu suchen zu den Einheimischen. Ich weiss wirklich nicht, ob ich dazu die Selbstdisziplin hätte - und ich habe grossen Respekt vor denjenigen, die sie auch nach längerer Zeit unter diesen Lebensumständen behalten.