Umso wichtiger sind in dieser Lage Informanten, die man einordnen kann. «Identifiable humans», die erreichbar sind, im direkten persönlichen Gespäch, via Skype, Telefon oder wie auch immer. Auch wenn dies oft äusserst schwierig ist, schon aus technischen Gründen.
Wie etwa Abu Abdullah: es rauscht und knackst in der Leitung, teilweise können wir Abu Abdallah kaum verstehen. Doch es ist der einzige Weg, neueste Informationen direkt aus Aleppo zu erhalten. Abu Abdallah ist Kommandant einer gemässigt islamistischen Rebellen-Einheit in Aleppo. «Die Angriffe kommen täglich. An allen Fronten. Die Angreifer sind schiitische Milizen und Iraner, unterstützt von der russischen Luftwaffe. Bislang konnten sie uns Gott sei Dank nicht viel anhaben.»
Die Informationen aus parteiunabhängigen Quellen zeichnen ein etwas anderes Bild. Zumindest im Umland von Aleppo haben regierungstreue Gruppen deutliche Geländegewinne erzielt. Und eine gewichtige Rebellen-Gruppierung hat sich dieser Tage aus Aleppo zurückgezogen, um sich ausserhalb «neu zu positionieren», wie ihr Sprecher es nennt. Unter anderem «weil wir seit über einem halben Jahr keine einzige Patrone mehr erhalten haben.» Er hätte auch sagen können: weil es aussichtslos ist.
Dabei ist gerade diese Gruppierung, die Nour al-Din al-Zenki-Bewegung , die einzige gewichtige Rebellen-Gruppe in Aleppo, die gemäss Institute for the Study of War weder jihadistische Ideologie erkennen lässt noch mit dem syrischen al-Qaida-Ableger Jabhat al-Nusra zusammenarbeitet. Früher hatte die Nour al-Din al-Zenki-Bewegung noch Waffen von der amerikanischen CIA erhalten. Doch offenbar haben die Amerikaner diese Unterstützung eingestellt.
Wir werden uns nicht aus Aleppo vertreiben lassen.
Die al-Nusra-Front selbst hat am Tag vor dem Abzug der Nour al-Din-Kämpfer in Aleppo eine eindrückliche Machtdemonstration abgehalten. Mit 200 Fahrzeugen paradierten ihre Kämpfer durch die Stadt. Waffen und Munition sind laut Abu Abdallah kein Problem. «Wir haben genug von allem», sagt er. Heisst: Der Nachschub für die Jihadisten, vorwiegend aus den Golfstaaten, funktioniert weiterhin zuverlässig, während der gewichtigsten Gruppierung ohne Verknüpfung zu den Jihadisten die Munition ausgeht.
Jetzt holen wir uns Aleppo zurück!
«Keine Frage, wir werden uns nicht aus Aleppo vertreiben lassen», sagt Abu Abdallah. Auf der Gegenseite tönt es völlig anders. Mit wem auch immer man auf der Assad-Seite spricht, die Aussage ist klar: «Jetzt holen wir uns Aleppo zurück.» Für die UNO-Syrien-Gespräche in Genf, die dieser Tage beginnen sollten, verheissen diese Alles-oder-Nichts-Positionen beider Seiten nichts Gutes. Auch Abu Abdallah erwartet nichts von möglichen Verhandlungen. «Genf bedeutet nichts für uns. Genf repräsentiert niemanden von uns. In Genf verhandeln nur Verräter.»
Mehr wissen über Syrien: Pascal Weber empfiehlt
«Jane's Defense Weekly», ein britisches Militär-Fachjournal, bezifferte die Zahl der Gruppen, Milizen und Banden im syrischen Bürgerkrieg schon Ende 2013 auf mehr als 1000. Etwa ebenso viele «Wahrheiten» über diesen Krieg gibt es in den sozialen Medien.