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#SRFglobal «Taha? Taha Khalil, hallo?» – Piip, piip, piip...

Es gibt einfachere Aufgaben für einen Journalisten, als Kontakt herzustellen mit Taha Khalil. Der Mann ist News-Moderator in Qamishli, im kurdischen Teil von Syrien. Im Süden stehen die IS-Terroristen, im Norden die türkische Armee. Der Strom ist knapp und Wi-Fi gibt's auf gut Glück.

Aufgefallen war mir der Mann in einer Doku des ZDF Auslandjournals, die im November 2014 ausgestrahlt worden war: «Kobane – die Hoffnung der Kurden» hiess der Film. Er zeigte einen TV News-Moderator, der sein Haus nicht ohne Pistole verlässt, da er und seine Familie mit ständigen Drohungen von IS und anderen islamistischen Gruppierungen leben müssen.

Telefonnummern publizieren syrische TV-Stationen nicht, auch der kurdische Sender Ronahi TV in Qamishli nicht. Anfragen via Kontaktformular in Englisch blieben unbeantwortet. Schliesslich war es Michael Enger, der Produzent der ZDF-Doku, der mir zwei Telefonnummern geben konnte von Taha Khalil: eine syrische und eine türkische. 48 Stunden lang antwortet auf beiden Nummern niemand. Dann endlich: «Hallo?» Doch dann ist das Gespräch schon wieder fertig, die Verbindung bricht ab. Wir freunden uns darauf bei Facebook an und via Facebook-Chat und Whatsapp gelingt es uns, eine Art fliessende Kommunikation aufzubauen. Am 11.09. um 08:45 Uhr:

  • Taha Khalil: Geh an dein telefon bitte.. ich rufe dich an
  • Daniel Blickenstorfer: Bin dran
  • Taha Khalil: Es klingelt bei mir
  • Taha Khalil: Als ruf mich an bitte... am viber

Dank Taha habe ich Viber kennen gelernt., ein kostenloser IP-Telefondienst wie Skype oder Whatsapp. (Ich werde ihn mal auf die Datenschutz-Problematik bei Viber hinweisen müssen, denke ich später. Aber vielleicht ist das auch ein Luxusproblem, bezeichnend für uns Europäer, während es in Syrien ums nackte Überleben geht.)

Dass man sich mit Taha Khalil in Deutsch unterhalten kann, ist seinem acht Jahre dauernden Aufenthalt in der Schweiz zu verdanken: von 1992 bis 2000 hat er in Neuenegg (BE) für das Schweizerische Rote Kreuz gearbeitet und dort Flüchtlingen aus Syrien «schweizerische Sitten» beigebracht. In einem lesenswerten Essay für das deutsche Hilfswerk Medico International schreibt er:

Das Wichtigste, was ich in der Schweiz gelernt hatte, war der gegenseitige Respekt; den Anderen zu respektieren, einmal weil er verschieden von mir ist, und zum anderen, weil er ein Mensch ist.
Autor: Taha Khalil Moderator Ronahi TV

Das könnte ein wertvoller Interview-Partner sein für #SRFglobal, denkt da der Produzent. In einem langen Gespräch beschreibt mir Taha die Gründe seiner eingeschränkten Erreichbarkeit.

Karte von Qamishli an der türkischen Grenze.
Legende: Qamishli, Hauptstadt von Rojava, den kurdischen Gebieten in Syrien. Die Stadt liegt direkt an der türkischen Grenze. SRF

Einmal ist es ein Reportereinsatz drüben im Irak bei den Jesiden von Sinjar, die immer noch gegen den IS kämpfen müssen. Oft ist es die Absenz eines Wi-Fi, noch öfter aber fehlender Strom: «Wir haben zurzeit sechs oder sieben Generatoren in Qamishli, welche die Stadt mit 500'000 Einwohnern versorgen. Da gibt es immer wieder Unterbrüche.» Die Türkei habe die Grenze hermetisch dicht gemacht, Lebensmittel und medizinisches Material würden in Konvois aus Aleppo angeliefert. Diese müssen allerdings durch IS-kontrolliertes Gebiet fahren, dabei eigentliche Wegelagerer-Zölle entrichten oder werden von IS-Terroristen sogar beschlagnahmt.

Taha sagt sofort zu für das Gespräch mit #SRFglobal. Er will das Projekt Rojava vorstellen, die drei kurdischen «Kantone» im Norden Syriens mit ihrer Verfassung, die Demokratie, Gleichberechtigung der Religionen, Ethnien und Geschlechter festschreibt.

Mithilfe von Beriwan, einer kurdisch-stämmigen Ostschweizerin, bauen wir 10 Tage vor der Sendung eine Probeschaltung nach Qamishli auf. (Unsere vorgängigen Versuche auf Englisch hatten nicht gefruchtet.) Das Telefonat zwischen Zürich-Leutschenbach und Qamishli geht hin und her, ein Business-Talk zwischen Beriwan und einem Mann in Syrien, der aus Sicherheitsgründen offenbar einen Tarnnamen verwendet.

Schaltraum von SRF, Beriwan telefoniert mit Ronahi TV, Monitor zeigt Kriegsbilder
Legende: Beriwan am Telefon mit den Technikern von Ronahi TV im Schaltraum von SRF SRF

Wir anderen im Raum verstehen nichts, ausser «Satelit» und «Africasat». Dann, nach rund einer Stunde, steht die Leitung. Erstmals in der Geschichte sieht man im Schaltraum von SRF Livebilder von Ronahi TV. Sie zeigen gerade Krieg, eine kurdische YPG-Einheit an der Front gegen IS.

Drei Tage später bei der Schalte zu Taha Khalil klappt alles auf Anhieb. Beriwan sitzt diesmal in der Regie neben den Produzenten und stellt via Telefon die Kommunikation mit den technisch Verantwortlichen bei Ronahi TV sicher: «Etwas höher kadrieren, bitte», auf kurdisch. Das Gespräch mit Taha wird intensiv und – lang!

Moderator Florian Inhauser spricht im Studio mit dem aus Qamishli zugeschalteten Taha Khalil, den man auf dem Monitor sieht
Legende: Zwei Moderatoren im Direktgespräch: Florian Inhauser, #SRFglobal und Taha Khalil, Ronahi TV SRF

Der Mann hat enorm viel zu erzählen, er will die Gelegenheit verständlicherweise nutzen, nicht für sich, aber für sein Volk, für Rojava. #SRFglobal-Moderator Florian Inhauser sieht kaum mehr Mittel, um ihn zu unterbrechen, sein Anstandsgefühl verbietet es ihm.

Fünf Minuten Gesprächszeit waren vorgesehen, nach deren 25 sagt Beriwan dem Produzenten, dass Ronahi TV die Leitung abstellen wolle: «Sie haben jetzt gleich eine Live-Sendung aus diesem Studio.» Florian Inhauser stellt noch eine letzte, persönliche Frage an Taha Khalil, doch dessen Antwort bleibt irgendwo hängen im All.

Immerhin, die erste Schaltung für die neue Sendung ist im Kasten. Taha Khalil fragt unmittelbar danach via Facebook-Chat:

  • Taha Khalil: wie war es? es war nicht gut? oder? so hatte ich gefühl
  • Daniel Blickenstorfer: doch doch, es war gut!!
  • Taha Khalil: ich habe viel geredet... hhhhh ja meinst du..

Ja, das war tatsächlich so, lieber Kollege, aber genau dafür ist #SRFglobal im Programm: um Menschen wie dir eine Stimme zu geben. Wir wünschen dir, deiner Familie, Freunden und Kollegen in Rojava und den Menschen in ganz Syrien Frieden, Freiheit und alles Gute!

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