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Knochenjob auf der Alp «Ich war voll am Anschlag»: Kuhhirte Tinu und seine letzte Saison

Martin Salzmann ist eigentlich Zimmermann, doch im Sommer wird er zum Hirte von Eringerkühen – wohl zum letzten Mal.

Jeden Sommer zieht es Martin Salzmann, den alle Tinu nennen, auf die Alp. Auf der Alpage de Rouaz im Val d'Anniviers im Mittelwallis kämpfen Eringerkühe um die Rangordnung – und Tinu achtet darauf, dass niemand verletzt wird. «Auf so einer grossen Alp war ich noch nie. Aber das passt zu mir. Ich mag Herausforderungen», sagt der 30-Jährige.

Tinu ist zuständig für rund 100 Tiere von verschiedenen Besitzerinnen und Besitzern. Er läuft an einzelnen Tagen über 30 Kilometer über steiles Gelände und behält die Herde im Blick. «Die Alp gibt einem viel zurück», sagt er. «Doch es ist auch ein strenger Sommer.»

Zimmer mit Aussicht

Sein kleines Zimmer liegt neben dem Stall und hat ein Fenster mit Sicht auf die Tiere. «Wenn die Kühe in der Nacht unruhig sind und ich aufwache, muss ich mich nicht anziehen und um die Hütte gehen. Ich kann einfach hier runterschauen.»

Am Ankunftstag herrscht Spannung: neue Kühe, neue Besitzer, unbekannte Dynamiken. «Da lastet schon ein ziemlicher Druck auf mir», sagt Tinu. Doch er sucht genau das – nicht Routine, sondern Herausforderung.

Wer Hirte ist, muss mit sich selbst klarkommen. «Wenn du nicht gut alleine sein kannst, drehst du sofort durch», sagt Tinu.

Eringerkuhkämpfe: Konzentration bis zur Erschöpfung

Tinus Hauptaufgabe auf der Alpage de Rouaz ist das Führen der Rangliste. «Ich schreibe jeden Kampf auf, damit ich Ende Sommer ein Klassement von der Ersten bis zur Zehnten machen kann.» Eine genaue Dokumentation, fast wie ein sportliches Turnier – nur, dass es hier um Kühe geht.

Er beobachtet aufmerksam, wer brummt, scharrt, oder den Schwanz stillhält – Zeichen dafür, ob ein Kampf bevorsteht. «Du musst vorne, hinten und auf der Seite Augen haben», erklärt er. «Da musst du extrem konzentriert sein.»

Sobald die Tiere auf der Alp sind, beginnen die Rangkämpfe. Tinu markiert jede Kuh und rundet ihre Hörner ab, um Verletzungen zu vermeiden. «Angst vor den Kühen habe ich nicht. Das wäre nicht gut. Aber ich habe grossen Respekt.»

SRF bi de Lüt – Z'Alp

Lange Tage, kurze Nächte

Die ersten Wochen auf der Alp seien die härtesten. «Da habe ich ein paarmal gedacht: ‹Verdammt, soll ich aufhören?› Ich war voll am Anschlag.» Lange Melkzeiten, späte Rückkehr aus dem Stall, kurze Nächte – das sei körperlich brutal. «Das braucht extrem viel Energie», sagt er. «Man ist sich das nicht gewohnt.»

Dass er in dieser Zeit mehr als zehn Kilogramm abgenommen hat, wundert ihn nicht. «Wenn der Lohn nach Kilometern berechnet würde, es würde klingeln in der Kasse! Ich hatte mal einen Tagesschnitt von fast 37 Kilometern – und das nicht flach.»

Krönung der Saison – und das Ende

Gegen Ende des Sommers werden die Wege auf der Alp länger, die Tiere ruhiger – und die Entscheidungen klarer. Welche Kuh an der Spitze steht, wer Milchkönigin wird, wer sich durchgesetzt hat. Tinu kennt sie alle. «Momentan sind Vincente und Pamela an der Spitze», sagt er.

Zum Schluss werden die besten Tiere geehrt, das Vieh zurück ins Tal geführt. Tinu rasiert sich erst jetzt – wie immer erst am Ende. «Das ist Tradition. Das bringt Glück. Vorher nicht.»

Dann sagt er den Bauern danke – für das Vertrauen, für die Hilfe, für die Zusammenarbeit. «Ihr habt mich so stark unterstützt. Es waren neue Tiere, eine neue Alp – das hat super funktioniert.»

Jetzt ist er müde, aber zufrieden. «Ich glaube, das war die letzte Saison», sagt er. «Es war ein guter Abschluss. Nächstes Jahr komme ich als Besitzer.» Tinu hat nämlich eine eigene Eringerkuh, Sidney, die er auf die Alp bringen will.

SRF bi de Lüt – Z'Alp, 27.06.2025, 20:10 Uhr ; 

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