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Pionierin Trudi Streit «Damen unter 80 gesucht»: die Anfänge des Frauenfussballs

Trudi Streit hat den ersten Schweizer Frauen-Fussballclub gegründet. Was hält sie von den Entwicklungen im Sport?

Es beginnt mit einem verirrten Ball im Letzigrund. Trudi Moser – heute Trudi Streit – beobachtet mit ihrer Schwester das Training des FC Zürich. Als kein Trainer erscheint, fangen sie an zu kicken. «Was die können, können wir auch», sagt sie später über diesen Moment. Und er wird Realität: 1968 gründen sie den ersten Frauen-Fussballclub der Schweiz – den Damenfussballclub Zürich.

Die Initiative entsteht spontan. Die jungen Frauen geben ein Inserat auf: Gesucht werden «Damen unter 80». Eine Idee, die Aufmerksamkeit weckt. Viele Frauen haben längst den Wunsch, zu spielen – nun finden sie endlich eine Adresse.

Erstes Länderspiel, erste Ernüchterung

1970 steht Trudi Streit für ein Länderspiel in Schaffhausen. Die Spielerinnen laufen von der Jugendherberge zum Spielfeld, Musik dröhnt, das Publikum wartet. «Das war unglaublich.»

Doch die Frauen fühlen sich nicht wohl: Sie tragen ausrangierte Juniorenleibchen – alt, zu gross, gelb statt rot, das Emblem selbst angenäht. «Ich habe mich geschämt wegen dieser Juniorenleibchen», sagt Streit heute. Das habe sie nicht nett gefunden von der neuen Schweizerischen Damenfussball-Liga.

Sexismus am Spielfeldrand

Auf dem Platz begegnet ihnen oft mehr Spott als Respekt. Streit erinnert sich, dass Frauenfussball damals schlicht «nicht dazugehört» hat. Wer Fussball spielt, gilt als «Mannsweib». Fussball sei eine Männergeschichte, sagt sie.

Ein Zuschauer fällt ihr auf. Er besucht mehrere Spiele. Streit bedankt sich für sein Interesse, doch der Mann antwortet: «Ich komme vor allem, um zu schauen, wie der Busen hoch- und runtergeht.» Die Szene bleibt ihr im Gedächtnis. «Ich bin sonst nicht baff. Aber hier war ich einen Moment lang baff.»

Auch die Medien machen sich kaum die Mühe, sportlich zu berichten. Statt Technik oder Taktik stehen Aussehen und Kleidung im Fokus. Viele Spielerinnen nehmen das hin, manche überhören es.

Teamkollegin Daniela Camponovo erzählt, dass sie die Sprüche nie beeinträchtigt hätten beim Ausüben ihres Lieblingssportes. «Sie sind deswegen Pionierinnen, weil sie sich nicht davon abhalten liessen», erklärt Historikerin Marianne Meier.

Die Technik entwickelt sich – und der Nachwuchs mit ihr

Heute haben junge Spielerinnen andere Möglichkeiten. Das Training ist professionell, Talente werden früh gefördert. Streit beobachtet diese Entwicklung mit Bewunderung – und etwas Wehmut: «Ich hätte heute keine Chance, mitzuhalten. Die Spielerinnen sind technisch viel besser.»

«Teufelskreis in der Sportkommunikation»

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Marianne Meier vor einem gelbem Hintergrund.
Legende: SRF

Marianne Meier, Historikerin und Genderforscherin an der Universität Bern, beschreibt das Problem der Kommunikation im Frauenfussball so: 

«In der Sportkommunikation gibt es eine Art Kreislauf. Ein Team hat Erfolg und das Fernsehen berichtet darüber. Wenn es im Fernsehen kommt, sehen es viele Leute und ist interessant für Sponsoring, weil Geld reinkommt. Das Team wird noch besser, bringt noch bessere Leistungen, hat wieder Erfolg. Die Medien berichten wieder darüber und so weiter.

Bei den Schweizerinnen hörte das auf. Sie hatten in den ersten fünf Jahren von 1970 bis 1975 Erfolge mit der Nati. Dann haben sie während fast 20 Jahren auf heimischem Boden dreimal gewonnen. Wenn man nicht gewinnt, wenn man keinen Erfolg hat, wird nicht darüber berichtet und es investiert niemand. So wird das Team auch nicht besser, da Geld für Training und Infrastruktur fehlt. Es war wie ein Teufelskreis. Aus dem konnte man nur durch Erfolg herauskommen.

Der internationale Erfolg kam erst 2015, mit der ersten offiziellen Qualifikation für eine FIFA-WM in Kanada. Dann konnte das Fernsehen auch nicht mehr wegschauen.»

Die Gründerin des FC Winterthur Frauen, Sarah Akanji, erlebt es selbst: Lange stehen Frauen- und Mädchenteams in der Verbandshierarchie ganz unten. An Spieltagen kommen zuerst die Männer, dann die Junioren – «als Fussballerin muss man immer Platz machen». Erst seit wenigen Jahren rückt ihr Status langsam nach oben.

Zukunft mit Rückenwind

Trotz der schwierigen Anfänge blickt Trudi Streit optimistisch nach vorn. Es sei wichtig, dass man nach der EURO weiterhin Matches von Frauen schaut und besucht. Auch Historikerin Meier sieht in der Heim-EURO einen Katalysator: «Die Vergabe der EURO 2025 an die Schweiz wird die Entwicklung meines Erachtens acht bis zehn Jahre beschleunigen.»

Trudi Streit und ihre Teamkolleginnen haben sich nie einschüchtern lassen – sie waren überzeugt davon, dass Frauen auch einen Platz haben im Fussball. Heute, Jahrzehnte später, erlebt sie als Zeitzeugin die erste Heim-EM. Eine späte, aber verdiente Anerkennung.

Radio SRF 1, Morgengast, 2.07.2025, 7:17 Uhr ; 

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