Zum Inhalt springen

Schweizer Erfolgsrezepte Lockerheit bei der einen, kein Selbstmitleid bei der anderen

Lara Gut-Behrami und Michelle Gisin strahlen nach Gold und Bronze im Super-G mit ihren Medaillen um die Wette.

An der Siegerehrung brachen die Emotionen aus Lara Gut-Behrami heraus. Zuerst strahlte die Tessinerin übers ganze Gesicht. Beim Abspielen der Hymne kullerten dann ein paar Tränen. Auch bei ihrem Vater Pauli Gut. Die ganze Anspannung hatte sich auf einen Schlag gelöst. Und diese war bei der Tessinerin gross gewesen.

«Ich war im Ziel definitiv nervöser als am Start. Man kann nicht ausblenden, was in Sotschi und Pyeongchang passiert ist», sagte Gut-Behrami. Wir erinnern uns: 2014 hatte die Schweizerin Bronze im Super-G um 7 Hundertstel verpasst, 2018 fehlte gar nur eine mickrige Hundertstelsekunde auf Rang 3. Vancouver hatte die Tessinerin wegen einer Hüftverletzung verpasst.

Mehr Nachsicht mit sich selber

Am Freitag passte nun alles zusammen. Die Doppel-Weltmeisterin im Super-G und Riesenslalom von 2021 in Cortina darf sich nun auch Olympiasiegerin nennen. Dazu kommen 2 Olympia-Bronzemedaillen, 6 weitere WM-Medaillen, der Gesamtweltcupsieg von 2016, 3 kleine Kristallkugeln im Super-G, 34 Weltcupsiege (davon 17 im Super-G) und insgesamt 64 Podestplätze – Gut-Behrami gehört zu den ganz Grossen im Ski-Zirkus.

«Es ist noch etwas früh, um es zu realisieren», sagte Gut-Behrami. Sie sei in der Vergangenheit oft zu hart mit sich selber ins Gericht gegangen. «Ich habe nicht realisiert, dass ich bereits einiges geleistet habe. Mit 17 Jahren hätte ich für diese Karriere unterschrieben – auch mit der Hälfte dieser Erfolge. Ich hatte immer das Gefühl, ich müsse noch mehr beweisen. In den letzten Jahren hat sich meine Denkweise geändert. Das gibt mir eine andere Lockerheit», so die 30-Jährige.

Gisins Tränen sind jetzt Freudentränen

Michelle Gisin sorgte mit ihrer Bronzemedaille nicht nur für einen doppelten Schweizer Freudentag. Ihr gelang damit auch die perfekte Reaktion auf die Enttäuschung im Slalom. Dort wäre für sie als Halbzeit-Zweite eine Medaille bereit gelegen. Doch die Engelbergerin fuhr im 2. Lauf zu verhalten und fiel auf Platz 6 zurück.

«Es war hart und ich habe es mir so gewünscht im Slalom. Und ich war halt so nah dran wie noch nie. Aber irgendwann musste ich mir sagen, dass jetzt fertig ist mit Selbstmitleid», so Gisin, die im Zielraum mit ihrer Schwester Dominique telefonierte. Kleine Randnotiz: In Sotschi hatte Dominique Gisin Gold in der Abfahrt gewonnen, Gut-Behrami holte damals Bronze.

Für Gisin ist es nach Gold in der Kombination vor 4 Jahren die zweite olympische Medaille. Angesichts ihrer schwierigen Vorbereitung – Gisin litt im Sommer am Pfeifferschen Drüsenfieber – strahlt Bronze aber fast so schön wie Gold. Und auch der 6. Rang im Slalom relativiert die 28-Jährige rückblickend: «Im Sommer lag ich praktisch nur auf dem Sofa, es ging mir so schlecht. Mein Ziel war es, irgendwie an Olympia dabei zu sein». Das ist Gisin mehr als gelungen.

SRF zwei, sportlive, 11.02.2022, 03:50 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel