Christof Baer, Swiss Paralympics schickt 24 Athleten nach Rio. Als Ziel wurden 10 Medaillen vorgegeben. Das klingt nach viel ...
Baer: Das ist so. Man muss allerdings sehen, dass 24 Athlenten nicht automatisch 24 Starts bedeuten. Einige Athleten haben Mehrfach-Starts, insbesondere die Leichtathleten. In diesem Sinne ist es nicht mehr so viel. Die Zahl basiert natürlich auch auf Erfahrungswerten aus der Vergangenheit – und ist so gesehen durchaus realistisch.
Auch wenn «Medaillenhamster» Edith Wolf-Hunkeler (8-fache paralympische Medaillengewinnerin) nicht mehr dabei ist?
Dank der Arbeit in den Verbänden kommen zum Glück einige vielversprechende Athleten nach. Mit 5-6 Medaillenkandidaten haben wir doch einige potentielle Medaillenchancen. So gesehen sollte der Rücktritt von Edith kompensiert werden können.
Zu den Favoriten gehört Rollstuhlsportler Marcel Hug. Nach zweimal Bronze in Athen und zweimal Silber in London wartet sein Medaillensatz auf Komplettierung. Wird Hug zum Nino Schurter der Paralympics?
Ich wünsche ihm das natürlich sehr. Doch es ist wie bei Schurter: Er hat die Goldmedaille zwar angesagt, doch die Konkurrenz ist natürlich auch da. Der Engländer David Weir (7-facher Paralympic-Sieger, Anm. d. Red.) beispielsweise, von dem man weiss, dass er sich extrem fokussieren kann, wenn es zählt. Zudem sind auch starke Chinesen und Thailänder am Start. Es wird auf jeden Fall ganz schwer.
Was erhoffen Sie sich von Manuela Schär, die ebenfalls in den Rollstuhl-Bewerben antreten wird?
Sie ist eine Vielstarterin und physisch extrem bereit. Ihre direkte Konkurrentin Tatyana McFadden ist allerdings die Überfliegerin schlechthin. An ihr vorbeizukommen, wird sehr schwer. Manuela ist aber auf jeden Fall in der Pole Position, um von der Amerikanerin zu erben, sollte diese straucheln.
Um gerechte Wettkämpfe zu gewährleisten, werden die Behindertensportler ihren Behinderungen entsprechend in Klassen eingeteilt. Inwieweit ist dieses Klassifizierungssystem fair?
Absolut fair ist es verständlicherweise nicht, genau so wie der Nicht-Behindertensport auch nicht fair ist: Beim Hochsprung zum Beispiel sind die physischen Voraussetzungen auch unterschiedlich – ein Athlet kann grösser oder kräftiger sein als ein anderer – trotzdem kämpfen sie direkt gegeneinander. Es gibt keine «Einheitsbehinderung»; im Rahmen des Möglichen wird aber auf jeden Fall viel gemacht, damit die Leistungen miteinander vergleichbar sind.
Für Unbeteiligte kann der Umgang mit Behindertensportlern schwierig sein, wenn es beispielsweise um die Ansprache oder ihren teils doch sehr schwarzen Humor geht. Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um?
Man beginnt in die Szene hineinzuwachsen und lernt, dass bei aller Tragik auch sehr viel Humor im Spiel ist. Als nicht Direkt-Betroffener ist es immer eine Gratwanderung – mit welcher man mit der Zeit umgehen kann. Mein Grundsatz ist: Sie haben vielleicht nur ein Bein, sitzen im Rollstuhl oder sehen nichts, primär sind sie aber Leistungssportler und Menschen.
Welches ist für Sie die faszinierendste Sportart?
Das ist natürlich eine schwierige Frage. Spielsportarten sind für mich sehr faszinierend – ich übe sie selber aus und habe dadurch eine gewisse Nähe. Mich interessieren inbesondere auch jene Sportarten, die mit technischen Hilfsmitteln funktionieren, so zum Beispiel mit Prothesen in der Leichtathletik. Dieses Jahr sind Triathlon und Kanufahren neu dabei, darauf freue ich mich natürlich auch.
Was Christof Baer zur Eingliederung von Behindertensportlern in den Nicht-Behindertensport und zu den Befürchtungen, dass die Paralympics vor leeren Rängen stattfinden müssen, meint:
Sendebezug: SRF 1, «Club», 6.7.2016, 22:20 Uhr