Steve Guerdat ritt an diesem Dienstag nicht nur wie ein Champion. Er zeigte auch die Reaktion eines Champions, denn fünf Tage zuvor war die Gemütslage im Schweizer Lager eine ganz andere gewesen. Nach dem Scheitern in der Qualifikation für den Team-Wettkampf hatten er, Martin Fuchs und Pius Schwizer sich in einer Situation vorgefunden, die so nie und nimmer erwartet worden war. Die Enttäuschung war entsprechend gross.
«Ich war total durcheinander, das war etwas ganz Neues. Wir wussten nicht, was los ist», blickt Guerdat im Interview nach dem Gewinn von Einzel-Silber auf die Zeit nach dem Team-Auftritt zurück. «Es folgten drei lange Tage, die nicht so angenehm waren. Aber wir haben probiert, das gegenseitige Vertrauen wiederzufinden. Heute haben wir gesehen, dass es wieder da war.»
Eine Einzel-Medaille an Olympia zu holen, ist sehr selten. Viele der allerbesten Reiter haben das nie geschafft, ich habe nun schon die zweite.
Dass das Zusammenspiel mit Dynamix de Belhème im Einzel-Wettkampf wieder so gut funktioniert hat, freut Guerdat sehr. Man lerne zwar, mit Negativ-Erlebnissen umzugehen, mental sei es aber nicht ganz einfach. «Ich bin stolz auf mein Pferd und das ganze Team, das hinter mir steht. Und natürlich stolz darauf, wie wir nach dem schlechten Resultat zurückgekommen sind.»
Für Guerdat ist der Gewinn von Silber in Paris zudem eine Bestätigung. Dass es nach London 2012 nicht ein weiteres Mal zu Gold gereicht hat, trübt die Freude gar nicht. «Ich ordne diese Medaille ganz oben ein. Eine Einzel-Medaille an Olympia zu holen, ist sehr selten. Viele der allerbesten Reiter haben das nie geschafft, ich habe nun schon die zweite. Ich bin stolz, dass ich beweisen konnte, zu den Besten zu gehören, und dass Gold in London kein Zufall war.»
Im Gegensatz zu London wird Guerdat nach seinem jüngsten Coup aber definitiv etwas anders machen. «Ich bereue es, dass ich die Goldmedaille ein bisschen zu wenig genossen habe. Deshalb habe ich mir versprochen, dass ich diese Medaille jetzt richtig feiern werde.»
Freude beim Equipenchef
Grund zum Feiern hat auch Equipenchef Peter van der Waaij. Besonders mit Blick auf das schlechte Team-Ergebnis könne Guerdats Medaille nicht hoch genug eingeschätzt werden. «Das sagt etwas über die Professionalität unserer Reiter. Wenn sie am Boden sind, stehen sie wieder auf. Steve ist heute unglaublich gut geritten. Schade, dass er im Stechen einen Fehler hatte, aber die Silbermedaille ist unglaublich gut.»
Frust bei Pechvogel Fuchs
Bei Martin Fuchs, der sich trotz verlorenem Steigbügel auf dem Weg ins Stechen befunden und erst am letzten Hindernis einen Abwurf verzeichnet hatte, war die Gemütslage verständlicherweise viel schlechter. «Ich bin sehr enttäuscht. Mein Pferd ist fantastisch gesprungen. Bei der Kombination hat er einen Extra-Effort gemacht, deshalb hat es mich für einen Moment aus dem Sattel geworfen und ich habe den Bügel verloren. Mit nur einem Bügel war es danach brutal schwierig. Beim letzten Sprung fehlte mir ein bisschen Schwung.»
Equipenchef Van der Waaij lobte Fuchs dafür, dass er trotz dem Handicap beinahe fehlerfrei geblieben ist. «Das ist unglaublich, er hätte es verdient gehabt, im Stechen dabeizusein.» Dieses Lob tröstete den Unglücksraben aber nur wenig. «Mir wäre es lieber, wenn ich den Ritterschlag nicht bekommen würde, stattdessen beide Bügel gehabt hätte», so Fuchs.