Er ist amtierender Weltmeister und hat knapp 60 Prozent aller italienischen WM-Medaillen gewonnen, vier davon golden. Doch bei Olympia in Paris steht Artistic Schwimmer Giorgio Minisini nicht am Start.
Dabei hätten zum ersten Mal in der olympischen Geschichte auch Männer im von Frauen dominierten Sport mitmachen dürfen (bei Weltmeisterschaften ist das bereits seit 2015 der Fall). Keine einzige Nation selektionierte aber einen Mann.
USA verzichtet auf Galionsfigur May
Bei den meisten Ländern hätte das auch keinen Sinn gemacht, wie SRF-Expertin Nina Brennwald erklärt. «Für mehr oder weniger vier Nationen wäre ein Mann überhaupt in Frage gekommen.» Dazu gehört auch die USA mit Artistic-Swimming-Ikone Bill May.
Für diesen Sport habe ich so lange so stark gelitten, jetzt habe ich einfach nicht mehr die Kraft dazu.
Der 45-jährige Altstar und Wegbereiter für männliche Athleten in der Sportart war sogar extra aus dem Ruhestand zurückgekehrt, schaffte den Cut aber nicht. «Er ist zwar unglaublich gut, die US-Amerikaner haben aber einfach die absolut beste Konstellation gesucht, da passte er nicht rein. Die Entscheidung ist aus meiner Sicht vertretbar», so Brennwald.
Integration ins Team nicht geklappt
Ganz anders sieht es bei Minisini aus. Italien war geschockt nach dessen Nicht-Nomination, der Athlet selber trat darauf sogar schweren Herzens zurück. «Ich wollte unbedingt nach Olympia. Für diesen Sport habe ich so lange so stark gelitten, jetzt habe ich einfach nicht mehr die Kraft dazu», schrieb der 28-Jährige in einem Statement Mitte Juli.
Die Entscheidung kam zu spät für viele Teams. Das IOC hat die Tür für die Männer nur einen Spalt weit geöffnet.
«Dass er nicht selektioniert wurde, war eine riesige Überraschung», bestätigt Enrico Cattaneo, der für den italienischen TV-Sender Rai Artistic Swimming kommentiert. Auch seine Co-Kommentatorin und ehemalige Aktive Paola Celli kann sich den Entscheid nicht erklären. «Das Selektionskomitee habe sich schwer getan, hiess es. Begründet wurde der Entscheid damit, dass Minisini nicht gut ins Team integriert werden konnte», so die zweifache Olympia-Teilnehmerin.
Auch der Entscheidungsprozess an sich wirft Fragen auf. «Andere Nationen wie zum Beispiel Australien haben externe Juroren beigezogen für die finale Selektion. In Italien ist das nicht geschehen», meint Expertin Brennwald.
Zu wenig Vorbereitungszeit
Allerdings muss auch gesagt werden: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat den Entscheid über die Teilnahme-Berechtigung der Männer im Dezember 2022 gefällt, also eineinhalb Jahre vor den Spielen in Paris. «Die Entscheidung kam wahrscheinlich zu spät für viele Teams», erklärt Celli. «Es ist nicht einfach, in derart kurzer Zeit jemanden in ein Team zu integrieren.» Das IOC habe die Tür für die Männer einen Spalt weit geöffnet, aber eben nicht weit genug.
Dass in Frankreich keine Männer das Artistic Swimming repräsentieren werden, sei für den Sport generell «eine grosse Enttäuschung und eine verpasste Chance», meint Cattaneo. Allerdings blickt der Kommentator positiv in die Zukunft. «Es gibt zahlreiche, vielversprechende junge Athleten, nicht nur in Italien.» Die sollten dann spätestens für die Olympischen Spiele in Los Angeles 2028 bereit sein.