Eigentlich ist ja die Nummer 8 Federers Glückszahl. Er hätte aber wohl nichts dagegen, wenn in den kommenden Tagen die «9» im Vordergrund stehen würde. Denn: Federer jagt nach zwei überzeugenden Startsiegen seinen 9. Wimbledontitel und gleichzeitig den 99. Titel seiner Karriere.
Angefangen hat alles im Februar 2001. In Mailand durfte der damals 19-Jährige über seinen ersten Titel jubeln. Sein damaliger Finalgegner: Julien Boutter. Gemeinsam mit dem Franzosen blicken wir auf diesen Meilenstein zurück.
Julien Boutter, welche Erinnerungen verbinden Sie mit dem Final gegen Federer 2001 in Mailand?
Julien Boutter: Es war ein sehr spezieller Moment. Es ging für uns beide um den ersten Titel, dementsprechend gross war die Anspannung. Es war ein gewisser Hype da, weil man damals schon von Federer sagte, dass er ein ganz Grosser werden könne. Ich wusste aber in etwa, was auf mich zukommen würde, da ich 2 Jahre zuvor an einem Challenger-Turnier schon einmal gegen ihn gespielt hatte. Ich kann mich noch gut erinnern: Damals war Roger auf dem Platz noch ziemlich schnell genervt, sein Benehmen war nicht das Beste. (grinst)
Hatte sich das in der Zwischenzeit geändert?
Ja, er hatte sich in Mailand viel besser im Griff. Aber er war natürlich noch nicht der Roger, den wir heute alle kennen.
Roger hatte zwar schon damals gute Schläge, aber nichts, was mir Angst eingejagt hätte.
Es war eine sehr enge Partie. Nachdem sie im Tiebreak des zweiten Satzes Matchbälle abgewehrt hatten, kam es zu einer kuriosen Situation. Was war passiert?
Rogers Sieg hätte nicht zählen dürfen! (lacht) Ich servierte zu Beginn des 3. Satzes. Doch die ganze Zeit über dachte ich: ‹Ich bin gar nicht mit Aufschlag dran, eigentlich müsste Roger servieren.› Er hat mich dann prompt gebreakt und ich habe den Rhythmus verloren. Noch heute ist das ein «Running Gag», wenn wir uns sehen.
Sie haben am Ende in drei Sätzen verloren. Was hat Ihnen damals an Federers Spiel imponiert?
Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich war nicht wahnsinnig beeindruckt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Roger hatte zwar schon damals gute Schläge, aber nichts, was mir Angst eingejagt hätte. Er hatte nicht die Kraft in den Schlägen wie ein Pete Sampras. Er hat mich auch nicht mit seinem Aufschlag vom Platz gefegt wie Mark Philippoussis. Das waren Erfahrungen, die extrem frustrierend für mich waren. Bei Roger hatte ich immer das Gefühl, dass ich das Spiel gewinnen kann. Gelungen ist es mir auf ATP-Stufe aber leider doch nicht. Immerhin hab ich ihn an einem Challenger-Turnier geschlagen.
Sie werden für immer der Mann sein, gegen den Federer seinen allerersten Titel gewonnen hat. Werden Sie oft darauf angesprochen?
Ja, das passiert häufig. Aber das ist kein Problem für mich. Ich entgegne dann immer: ‹Wer weiss, was gewesen wäre, wenn ich diesen Final gewonnen hätte? Vielleicht hätte ich dann Rogers Karriere gehabt›. (schmunzelt)
Ich bin froh, dass Federer wieder zu seinem angriffigen Spiel gefunden hat.
Mittlerweile sind zig Jahre vergangen und Sie haben Ihre Karriere beendet. Federer spielt mit fast 37 Jahren immer noch und war sogar kürzlich wieder die Nummer 1 der Welt. Sind Sie überrascht?
Nein, mittlerweile nicht mehr. Aber ich muss gestehen: Vor einigen Jahren hätte ich mir das nicht vorstellen können. Rogers Stärke war seit jeher seine offensive Spielweise. Auf einmal aber spielte er sehr defensiv. Das kann natürlich verschiedene Gründe haben, aber ich habe es nie ganz verstanden. Wenn er zum Beispiel gegen Nadal auf Sand antrat, versuchte er, das Spiel von der Grundlinie zu gewinnen. Das klappte bekanntlich nicht. Die wenigen Male, die er offensiver gespielt hat, hat sich das auch ausbezahlt. Natürlich wäre das keine Garantie gewesen, die Spiele zu gewinnen, es hätte auch bös ausgehen können. Aber meine Devise ist: Lieber etwas riskieren. Ich bin froh, dass er wieder zu seinem angriffigen Spiel gefunden hat.
Was denken Sie hat den Ausschlag dazu gegeben?
Ich glaube, es hat in erster Linie mit Ivan Ljubicic zu tun. Seit er im Coaching-Team ist, spielt Roger wieder viel offensiver.
Sie sind Turnierdirektor in Metz. Haben Sie schon mal bei Federer angeklopft?
Ja, wir haben natürlich immer wieder versucht, ihn zu verpflichten. Bis jetzt ist uns das aber leider noch nicht gelungen. Aber wer weiss, vielleicht macht Roger ja irgendwann eine Art «Goodbye-Tour» und spielt jene Turniere, zu denen er eine spezielle Verbindung hat. Vielleicht erinnert er sich dann auch an mich und denkt: ‹Da ist doch der Julien Turnierdirektor, gegen den ich meinen ersten Titel gewann. Ich werde ihm eine kleine Freude machen.› Das wäre natürlich grossartig. Also Roger, falls du das liest: Wir würden uns sehr über dein Kommen freuen!
Sendebezug: SRF zwei, sportlive, 4.7.18, 15 Uhr