Wenn am Sonntag Daniil Medwedew und Rafael Nadal zum Handshake schreiten, wird die Tenniswelt den Atem anhalten. Denn mit dem Russen erhält die ATP-Tour bald eine neue Nummer 1. Gewinnt Medwedew den Final, so löst er Novak Djokovic am 21. Februar an der Spitze des Rankings ab. Verliert er, tritt dies am 28. Februar ein.
Nach sagenhaften 235 bzw. 236 Wochen wird vom Tennis-Thron ein neuer König grüssen. In diesem Zeitraum besetzten abwechslungsweise Djokovic, Nadal und Roger Federer diesen Platz. Andy Murray war zwischen November 2016 und August 2017 der bisher letzte Spieler, der die Phalanx der «Big Three» durchbrechen konnte.
Medwedew könnte mit einem Finalsieg zudem etwas Einmaliges erreichen. In der «Open Era» hat es bisher noch kein Mann geschafft, nach seinem Premieren-Grand-Slam-Triumph auch das darauffolgende Major-Turnier für sich zu entscheiden.
Legt Nadal erstmals vor?
Stemmt hingegen Nadal den Norman Brookes Challenge Cup in die Höhe, würde eine noch historischere Dimension erreicht. Der Spanier könnte im Rennen um den Grand-Slam-Rekord bei den Männern gegenüber Djokovic und Federer vorlegen und sich Nummer 21 schnappen.
Ruft man sich ins Gedächtnis, wo Nadal noch vor wenigen Wochen stand, wäre ein Triumph des Mallorquiners in Melbourne eine grosse Überraschung. Nicht einmal die Experten hatten den 35-Jährigen nach seiner hartnäckigen Fussverletzung und seiner Corona-Erkrankung vor Jahresende als Titelfavorit an den Australian Open auf dem Radar. Doch Nadal konnte sich «down under» von Spiel zu Spiel steigern.
Zudem kam dem 13-fachen Paris-Sieger entgegen, dass ihm ein potenzielles Viertelfinal-Duell mit Alexander Zverev (ATP 3) erspart blieb, weil der Deutsche zuvor überraschend an Denis Shapovalov (ATP 14) gescheitert war. Zverev wäre Nadals bestklassierter Gegner auf dem Weg in den Final gewesen. So war Matteo Berrettini (ATP 7) im Halbfinal die auf dem Papier schwierigste Hürde für den Spanier. Schmälern tut dies seine Leistung kaum – vor allem, sollte Nadal im Final auch noch Medwedew bezwingen.
Buchmacher sehen Medwedew vorne, aber ...
Die Ausgangslage vor dem Showdown am Sonntag scheint offener, als es die Wettquoten vermuten lassen. Diese sehen Medwedew (1,53) gegenüber Nadal im Vorteil (2,60). Der Russe musste im Viertelfinal gegen Félix Auger-Aliassime und zumindest in den ersten beiden Sätzen des Halbfinals gegen Stefanos Tsitsipas Schwerstarbeit leisten.
Zwar gab Nadal in diesen Runden gleich viele Sätze ab (3), allerdings waren die Partien gegen Shapovalov und Berrettini nicht ganz so kräfteraubend wie jene von Medwedew. Gegen den Kanadier brachten Nadal Magenprobleme in die Bredouille, den Italiener dominierte er über weite Strecken.
Spielverderber zum Zweiten?
Die mögliche Grand-Slam-Bestmarke von Nadal ist natürlich auch bei Medwedew präsent. Bereits am letztjährigen US-Open-Final stand der Rekord auf dem Spiel, damals avancierte der Russe gegen Djokovic zum Spielverderber. Dasselbe will er gegen Nadal schaffen: «Ich bin sicher, damals hat Rafa zugeschaut. Und ich bin sicher, am Sonntag wird Novak zusehen. Auch wenn ich keine Ahnung habe, wen er anfeuern wird», so der 25-Jährige nach seinem Halbfinal-Erfolg.